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Aufsteller auf der Documenta Fifteen.

© imago/IPON / imago/IPON

Hamburger Symposium zur Documenta Fifteen: Flucht in halbherzige Entschuldigungen

Antisemitismus versus Kunstfreiheit: Erneut scheiterte der Versuch, aus den Fehlern zu lernen. Scharfe Kritik an den Akademie-Professoren von Ruangrupa.

Von
  • Nicole Büsing
  • Heiko Klaas

Antisemitismus-Darstellungen haben im Rahmen der Documenta Fifteen den Weg in unsere Gesellschaft gefunden... Ich verurteile das aufs Schärfste.“ Mit diesen Worten eröffnete die grüne Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank das zweitägige Symposium in der Hamburger Hohschule für bildende Künste. Die Documenta habe es nicht geschafft, sich diesen Fragen zu stellen, urteilte sie scharf. Nun machte man sich in Hamburg daran, das Drama aufzuarbeiten – und scheiterte ebenfalls daran.

Hochschulpräsident Martin Köttering sprach zwar von einem „gesamtgesellschaftlichen Schockereignis“. Durch die Berufung der Ruangrupa-Mitglieder Reza Afisina und Iswanto Hartono vom Kuratorenkollektivals Gastprofessoren war aber gerade die Akademie stark in die Kritik geraten. Im Austausch während des Symposiums sollte es um die persönlichen Verletzungen von Jüdinnen und Juden gehen, so Kötterings Wunsch.

Eine künstlerisch-wissenschaftliche Institution sei dafür der geeignete Ort. Nora Sternfeld als Professorin der Akademie und Meron Mendel, Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, hatten zu der von ihnen konzipierten Tagung knapp zwanzig Referent:innen eingeladen, überwiegend aus dem Hochschulbereich.

Der israelische Soziologe Natan Sznaider schlug in seiner mit professoraler Verve vorgetragenen Keynote den Bogen von der Ausgrenzung der Juden als Staatsbürger in Zeiten der Aufklärung bis zum Begriff der Ambiguitätstoleranz, den die Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik in den 1930er Jahren entwickelt hat. Sznaider plädierte dafür, Vieldeutigkeiten zuzulassen – auch um Möglichkeitsräume einer zukünftigen Documenta auszuloten. Ob das funktionieren kann, bezweifelte er allerdings selbst: „Wir leben in entzauberten Zeiten, in denen nur noch Oppositionen, aber keine Wahrheiten mehr gelten.“

Im ersten Panel wurden Fragen der Kontinuität von Antisemitismus im Kunstfeld diskutiert. Julia Voss, Co-Kuratorin der Ausstellung „Documenta. Politik und Kunst“ im Deutschen Historischen Museum, verwies darauf, dass bereits die allererste Documenta keine jüdischen Künstler ausgestellt und stattdessen den Antisemiten Emil Nolde als Opfer stilisiert habe.

Wir leben in entzauberten Zeiten, in denen nur noch Oppositionen, aber keine Wahrheiten mehr gelten.

Natan Sznaider, Soziologe

Der Wiener Politologe Oliver Marchart konstatierte einen „stillen Boykott“ israelischer Kunst seit der Documenta 11. Ruangrupa warf er vor, sich nie eindeutig von der israelfeindlichen Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) distanziert zu haben und dieser Frage mit „sophistischen Argumenten“ ausgewichen zu sein. 

Mit Spannung erwartet wurde am zweiten Tag das Gespräch mit Ruangrupa-Mitglied Reza Afisina und Hestu A. Nugroho vom Künstlerkollektiv Taring Padi. Statt wirklich Verständnis für die empörten Reaktionen auf die antisemitische Bildsprache auf dem Banner „People‘s Justice“ zu zeigen, flüchteten sich die beiden in halbherzige Entschuldigungen und verwiesen auf die indonesische Bildkultur. Das Banner sei nicht gemalt worden, um antisemitisch zu sein, aber man habe jetzt gelernt, dass es so wahrgenommen wurde.

Im Publikum löste diese  Schönrednerei heftigen Protest aus. Auch die HFBK-Professorin Michaela Melián gab sich mit derlei Ausflüchten nicht zufrieden. Es gebe eine „globale Comic- und Graphic Novel-Kultur mit rassistischen Chiffren“. Und „wenn man ein paar Jahre vor der Documenta in Deutschland angekommen ist, dann liegt es nahe, dass man diese Bildsprache auch lesen kann.“

Im Abschlusspanel ging es dann um die Empfindung vieler Besucher, auf der Documenta Fifteen sei überhaupt keine Kunst zu sehen gewesen. Der meinungsfreudige Leipziger Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich hielt dem entgegen, dass die Schau einen neuen, alternativen Kunstbegriff entwickelt habe.

Margarita Tsomou, Kuratorin am Berliner Hebbel am Ufer, sprach gar von einem „collaborative turn“, der den Blick auf die Kunstproduktion dauerhaft verändern werde. Während das Podium die Schau also zum Zukunftsmodell hochstilisierte, meldete Michaela Melián nochmals Zweifel an. „Die Documenta ist für mich nicht der Ort, wo wir Kollektive ausprobieren wollen.“

Die teilweise antisemitische Bildsprache auf der Documenta Fifteen hat bei vielen Beobachter:innen, insbesondere innerhalb der jüdischen Gemeinden, Gefühle verletzt. Der jetzt an der HFBK ausschließlich innerhalb der Kunst-Bubble geführte Versuch der Aufarbeitung verzichtete bewusst auf diese Perspektive. Es muss daher die Frage gestellt werden, warum eine Einbeziehung von Vertreter:innen jüdischer Organisationen nicht stattgefunden hat.

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