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Scheibitz ließ sich bei dem spanischen Künstler inspirieren, wie seine „Kubistische Figur“ (1997/98) verrät.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Berlin Art Week: Hand in Hand mit Picasso

Künstler Thomas Scheibitz stellt seine Bilder zusammen mit Pablo Picasso im Museum Berggruen aus. Das Werk des Spaniers wird so wieder ins Jetzt katapultiert.

Diese Hände: die Finger so stachelig in Picassos „Dora Maar mit grünen Fingernägeln“. Ihre Rechte stützt den Kopf. Das blasse Gesicht ist kubistisch verformt, der Ausdruck melancholisch. Daneben hängt eine „Hand“ (2014) von Thomas Scheibitz, die Picassos Porträt von 1936 entlehnt sein könnte. Die Finger der gespreizten Hand sind wie Messer. Harte Konturen, helle Klingen-Finger auf dunklem Grund. Etwas Merkwürdiges passiert zwischen den Bildern der beiden Künstler. Das aktuelle Bild zoomt ein Detail des älteren heran, verändert das Porträt – als wollte Dora sich das Gesicht zerkratzen.

Picasso und die Frauen. Das Thema wäre eine Fundgrube in #MeToo-Zeiten. Aber in der Doppelausstellung im Museum Berggruen (Schlossstr. 1, bis 2. 2.; Di bis Fr 10 – 18, Sa / So 11 – 18 Uhr) geht es nicht um persönliche Hintergründe. Auch nicht um „Picasso und seine Zeit“, wie die Eröffnungsausstellung der Sammlung Berggruen 1996 betitelt war. Es geht um das Jetzt, in das Thomas Scheibitz das über acht Schaffensjahrzehnte entstandenen Werk des großen Spaniers hineinkatapultiert. Und plötzlich hat Picasso uns viel zu sagen.

Es gibt (außer Duchamp) keinen Künstler, der Scheibitz so inspiriert. Ein Picasso-Epigone ist er nicht. Schon die Sujets sind verschieden, wenn sich bei Scheibitz' chiffrenhaften Konglomeraten überhaupt davon sprechen lässt. Zwischen Picassos Farben – hier altmeisterlich-tonig, dort koloristisch aufgefächert – und Scheibitz’ oft ins Neongrelle ausschlagende Skala liegen Welten. Wie könnte es auch anders sein bei fast vier Generationen dazwischen? Gerade deshalb funktioniert der Dialog.

Viel Malerei, einige Skulpturen

Zusammen mit dem Kurator Joachim Jäger hat der Berliner Maler und Bildhauer rund 50 Picasso-Werke aus der Berggruen-Sammlung ausgewählt und mit der gleichen Anzahl eigener Arbeiten darauf reagiert. Das ergibt eine fulminante Schau, die sich über die drei Stockwerke des Stüler-Baus erstreckt und den Schwerpunkt auf Zeichensysteme und formale Lösungen legt. Viel Malerei ist zu sehen, einige Skulpturen und Zeichnungen.

Das Erdgeschoss widmet sich dem künstlerischen Vokabular. Picassos frühes „Studienblatt“ von 1897 ist für Scheibitz ein Schlüsselwerk. „Toulouse-Lautrec, Comic, Tachismus – da ist so viel drin, das verspricht: Picasso wird sich breit aufstellen“, sagt Scheibitz, der seine 17-teilige Reihe „Studie Alphabet“ (2017-2019) im selben Raum präsentiert.

Buchstaben, Farbfelder, gestische Malerei, gerade und gekritzelte Linien finden sich in den Kleinformaten komprimiert: das Lexikon eines in der Moderne entwickelten Mal-Repertoires, das sich ausschweifend kombinieren lässt.

Der Künstler hortet Fundstücke

Scheibitz arbeitet systematischer als Picasso es tat. In Kisten und Ordnern hortet der 1968 bei Dresden geborene Künstler Fundstücke und Abbildungen, die er verfremdet oder fusioniert und dann in seine Bildwelten schickt. In die reine Abstraktion wollte Scheibitz nie, das eint ihn mit Picasso, dessen kubistische Methode für den Jüngeren die „letzte Revolution im Umgang mit der Bildfläche“ darstellt.

1907 beginnen Picasso und Georges Braque Gestalten und Gegenstände in Einzelansichten zu zersplittern und sie in anti-illusionistischer, verdrehter Gesamtheit in die Fläche zu drücken. Picassos „Großer liegender Akt“ von 1942 reckt sich im ersten Stock, wo der thematische Fokus auf dem Kubismus liegt.

Die Bilder meiden das Erzählerische

Nun malt Scheibitz nicht kubistisch, aber er fragmentiert wie im „Splitterbild“ oder „gp 248“ (beide 2019). In vibrierender Luft taumeln Felsbrocken, Plastiksplitter, Treppenteile, aufgeschlagene Bücher. Eine Beschreibung mit Vorbehalt, denn Scheibitz’ Zeichen sind vieldeutig.

Wie auch die Bildnachbarschaft im Museum das Erzählerische meidet. Im Katalog zielt die oben erwähnte kratzige „Hand“ noch nach „Dora Maar“. In der Ausstellung ist es umgekehrt, Scheibitz’ Bild hängt rechts vom Picasso, die mutmaßliche Hand greift ins Leere. In die Zukunft der Malerei.

Jens Hinrichsen

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