
© Akinbode Akinbiyi
Hannah-Höch-Preis für Akinbode Akinbiyi : Seine Fotografie ist pralles Leben
Seit 1991 lebt Akinbode Akinbiyi in Berlin und durchwandert die Stadt und andere Metropolen mit seiner Kamera. Seine faszinierenden Bilder sind jetzt zu sehen.
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Akinbode Akinbiyi wandert. Die großen Städte in Europa und in Afrika sind sein Revier. Seit Jahrzehnten durchstreift der Fotograf sie auf endlosen Flaniergängen, mit langsamem, bedächtigen Schritt. Er lässt sich treiben, gibt dem Zufall eine Chance. Seine Haltung ist offen, fragend, behutsam. Sein Ziel: sich überraschen lassen vom Unerwarteten.
Dann hebt er seine Rolleiflex, löst aus und fängt einen Augenblick ein. Eine Stadt ist ein unablässiger Strom an Bildern, ein Ineinanderfließen von Geschichten. Akinbiyi begibt sich hinein. Seine Fotos sind fast immer schwarzweiß. Das macht sie einprägsam. Aber sie wirken zugleich wie Schnappschüsse und sind es auch: mit all den schrägen Linien, den Anschnitten, den Unschärfen und sich kreuz und quer überlagernden Motiven. Das pralle Leben halt. „Ich mag das Wort Schnappschuss“, meint Akinbiyi und lacht.
Die Welt liegt quer
Der Künstler strahlt Ruhe aus, spricht leise und unaufdringlich. Um vor der Eröffnung seiner Retrospektive im Landesmuseum Berlinischen Galerie noch einmal hindurchzuwandern, hat er viel Zeit mitgebracht: ein lebhafter, freundlicher Mann, seine Jahre sieht man ihm nicht an. Hellwach in jedem Moment.
„Das war im Wedding, ein Straßenfest,“ erinnert er sich: Auf seinem Foto drängen sich Kinder, weiße und schwarze, an einem improvisierten Spielestand. Ein Mädchen schaut plötzlich auf, blickt mitten in die Kamera. Zufall? Serendipity! So nennt Akinbiyi sein Prinzip des glücklichen Moments. Intuition brauche es dafür und vor allem Offenheit. Jeder Rollfilm, den er in seine analoge Mittelformat-Kamera schiebt, hat zwölf Aufnahmen. Da wird nicht wahllos geknipst.

© Rebecca Wilton
Rund 120 Fotografien aus sechs Themengruppen haben Künstler und Kuratorin Katia Reich zu visuellen Erzählungen gruppiert. Unzählige Ordner voller Kontaktbögen wurden gesichtet. Selbst jetzt, nach Monaten der Ausstellungsvorbereitung, entdeckt die Kuratorin neue Bedeutungsschichten. Welcher Reichtum in Akinbiyis verdichteten Alltagsaugenblicken steckt, merkt man wirklich erst bei eingehendem Betrachten.
Der große Moment
Für sein Lebenswerk erhält der Künstler jetzt den Hannah-Höch-Preis 2024, den wichtigsten Kunstpreis des Landes Berlin. Es ist, kaum zu glauben, seine erste große Retrospektive. Einiges davon war schon 2020 im Gropiusbau zu sehen. Zur Welt kam der Fotokünstler 1946 in Oxford als Kind nigerianischer Eltern und wuchs in einem gehobenen Viertel von Lagos auf. Er trägt das Bundesverdienstkreuz und die Goethe-Medaille.

© Akinbode Akinbiyi
Nach Berlin kam er 1991, in die wieder vereinigte Stadt. Warum gerade Berlin? Die Mieten waren günstiger als in München. Schon damals hatte Akinbiyi vom „Afrikanischen Viertel“ in Wedding gehört. Er nahm die Spur auf und kehrt seither immer wieder zurück in den unspektakulären Kiez. Deutsche Kolonialgeschichte hat sich in die Gegend zwischen Rehberge und Müllerstraße eingeschrieben. Der Streit um die Deutungshoheit dauert an. Auf einem 2005 entstandenen Foto ist das Straßenschild der Petersallee, benannt nach einem berüchtigten Kolonialakteur, von AktivistInnen überklebt. Akinbiyis Fotos dokumentieren auch die unterschwelligen Rassismen und Stereotype im Stadtbild, etwa auf Werbetafeln und in Reklameschriften.
Faible fürs geschriebene Wort
Auf seinen ausgiebigen Stadtwanderungen, auch in anderen Weltregionen, springen ihm immer wieder Schriften ins Auge. Ursprünglich wollte Akinbiyi Schriftsteller werden, studierte Anglistik und deutsche Literatur. Dann wurde die Lektüre der Straßen sein Metier. Ein Graffiti auf einer weggeworfenen Kloschüssel am Straßenrand flucht: „Fuck Duchamp“. Ein handgemaltes Schild, irgendwo in Afrika, wirbt: „Urgent Foto, here“.
Nicht weit davon hat Akinbiyi in der Ausstellung einen echten Fotoautomaten platziert. Wer ein Porträt von sich machen lässt, bekommt als Dreingabe drei zufällig ausgewählte Akinbiyi-Aufnahmen. Das hat Witz, lotet aber tiefer. Die Frage „Was ist die Fotografie?“ bewegt den Künstler. In einer seit vielen Jahren entstehenden Serie reflektiert er darüber, hat auch Essays dazu publiziert.
Zahlreiche Fotobücher aus seinem Besitz liegen in Vitrinen aufgeblättert. Sie zeigen, wen er schätzt und bewundert: Lee Friedlander etwa, Graciela Iturbide, den Südafrikaner David Goldblatt oder das Buch „Ghana“ von Paul Strand „Seine Aufnahmen aus den 1960ern sind ohne Herablassung, ohne die üblichen Afrika-Klischees.“
Kontrast aus Chaos und Stille
Akinbiyi selbst war vielfach auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs, kehrt Jahr für Jahr mehrmals in seine Heimatstadt Lagos zurück. Aber immer dort leben? Nein, er sei ein „Softie“, meint der Künstler lachend. Dort sei es hart, man müsse kämpfen. Auf seinen Reisen bekam er die Aggressionen hautnah zu spüren. Nach Südafrika begab er sich 1993, kurz nach dem Ende der Apartheid, um ein Kulturzentrum aufzubauen.
Seine kleinformatigen Abzüge zeigen Schlaglichter einer Gesellschaft im Umbruch: tanzende Zulu-Männer in Gummistiefeln, Hellhäutige im Ausgehdress, Bettler, Denkmäler, Palmwedel. In den Straßen der 20-Millionen-Metropole Lagos scheint der Lärm noch mehr anzuschwellen. Am Bar Beach, dem Strand der Riesenstadt, entstand die Serie „See never dry“. Der Titel zitiert eine an der westafrikanischen Küste gängige Redewendung: Das Meer trocknet nie aus. Ob diese Sicherheit noch gilt?
Über viele Jahre hat der Fotograf diesen sich verändernden Ort besucht. Manchmal ist die Küste überfüllt von Menschen. Dann wieder entleert sich der Strand, kehrt Stille ein. Vorne liegt schlafend ein Hund. Weiter hinten streben zwei Männer ruhigen Schritts den heranrollenden Wellen zu. Die Szenerie wirkt unauffällig. Aber trägt der Mann nicht einen Stock? Warum fasst er den Vorangehenden so behutsam am Arm? Es ist ein Blinder und jemand, der ihn führt. Ganz nebenbei erzählt Akinbiyis Fotografie diese Geschichte. Wer sie nicht wahrnimmt, hat immerhin den Strand gesehen.
Nur einmal entschloss der Künstler sich, in Farbe zu fotografieren. Für ein Auftragsprojekt erkundete er 2002 die eng miteinander verwobenen religiösen Kulturen in Brasilia und in Westafrika: Durch den transatlantischen Versklavungshandel gelangte die Yoruba-Religion nach Südamerika, wo die Rituale und Traditionen mit dem Christentum verschmolzen. Feinfühlig beobachtet der Fotograf die Präsenz des Religiösen im Alltag. Tatsächlich, so zeigt sich, hat Akinbiyi durchaus einen Blick für die Farben der Welt. Aber er zieht das schwarzweiße Medium vor. Der Fotograf ist überzeugt: „Schwarz und Weiß sind auch Farben.“
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