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Kultur: Hassgeliebte Heimat

Krass Clement und sein düsteres Kopenhagen: eine Entdeckung bei argus fotokunst

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So zwielichtig hatte man sich die dänische Hauptstadt nicht vorgestellt. Selten scheint ein Sonnenstrahl in die Industriestraßen abseits der malerischen Altstadt zu dringen. Das ständige Halbdunkel legt sich schwer auf die Menschen, die misstrauisch durch die Fensterscheibe eines geschlossenen Ladens auf den Fremden starren, oder dem Flaneur hinter einem Mauervorsprung mit höhnischem Grinsen auflauern.

Eine dicke Prostituierte lockt von ihrem Bett, eine andere wartet halbnackt auf den Stufen einer Hintertreppe. Draußen bimmelt eine erbärmlich kleine Straßenbahn vorbei. Zeigen die Schwarz-Weiß-Fotografien von Krass Clement vielleicht gar nicht das Kopenhagen der Gegenwart, sondern das geheimnisvolle Petersburg Dostojewskis oder das kalte Helsinki von Akis Kaurismäki? Aber selbst in dessen Filmen wärmt einmal die Sonne die hoffnungslos Verlorenen, und in Dostojewskis Romanwelt leuchtet am Ende ein Lichtstrahl der Liebe.

Krass Clement, 1946 in Kopenhagen geboren und trotz seiner sechzehn wichtigen Fotobücher in Deutschland völlig unbekannt, hat gute Aussichten, als der ernsteste aller Fotografen in die Geschichte einzugehen. Den „depressiven Clement“ nennen ihn Gerry Badger und Martin Parr in ihrer Geschichte des Fotobuchs, und das Selbstporträt, mit dem die Galerie argus fotokunst zum Besuch einlädt, ist dazu angetan, dieses Attribut zu bestätigen: ein Mann, der sein Gesicht hinter der ausgestreckten Hand verbirgt, aber dabei durch die Finger den Betrachter genau fixiert.

Depressive suchen gern einen geschützten Standort. Beim Blick auf einen jüdischen Friedhof etwa zieht sich Clement hinter die Gardine eines Wohnzimmers zurück und fotografiert so selbst am Tag unter schummrigen Bedingungen. Am liebsten aber geht er im Winter, wenn schmutzige Schneereste die Straße säumen, im Dämmerlicht oder bei Nacht durch die hassgeliebte Heimatstadt.

Die knapp fünfzig, zu moderaten Preisen angebotenen Aufnahmen (1000 Euro für Normal-, 3000 Euro für Großformate), mit denen der dänische Meisterfotograf zum ersten Mal in Deutschland vorgestellt wird, stammen aus den sechziger und achtziger Jahren. Krass erarbeitet gern fotografische Essays. Einer war Kalkutta gewidmet, ein anderer Havanna, ein dritter Berlin („Berlin Notat“, 2003). Auf letztere ist man natürlich besonders neugierig, ausgestellt werden sie allerdings nicht.

Aber vielleicht sind die Kopenhagen-Fotos für die Berliner viel spannender, weil wir die Stadt nicht oder mehr von ihrer Sonnenseite kennen. Tatsächlich lässt die Spannung dieser Arbeiten den Betrachter so schnell nicht wieder los. Das Halbdunkel vieler Aufnahmen wirkt wie ein Nistplatz verborgener Verbrechen oder tragischer Unglücke. Warum verbirgt der Zeitungshändler im Bahnhof die Augen unter dem breiten Schirm seiner Mütze? Wendet der Mann daneben dem Betrachter rein zufällig den Rücken zu, oder haben die beiden etwas besprochen, das niemand wissen darf? Außerhalb der Bahnhofshalle scheint die Sonne, drinnen herrschen andere Gesetze: die von Clements Fotowelt.

Immer wieder gestaltet er Erzählsituationen, die von einer dramatischen Begabung – zwischen 1971 und 1973 studierte er an der Dänischen Filmschule Regie – und gleichzeitiger Scheu vor der Begegnung mit Menschen zeugen. Bei einem Liebespaar, das gerade in eine Bar eintritt, begnügt er sich auch dieses Mal mit einer Ansicht von hinten. Und wer hat an einer menschenleeren Hausecke einen Kinderwagen abgestellt?

Weder der Zeitungsverkäufer noch das Liebespaar noch die Mutter des Kindes mochte Clement fragen, ob er sie porträtieren dürfe. Brasseï oder Kertész hätten es getan und die Situation fröhlich entspannt. Clement ist am Gegenteil interessiert. Paris ist nicht Kopenhagen. Was wäre die Fotografie ohne die Spannung der Gegensätze?

argus fotokunst, Marienstr. 26, bis 28. April, Dienstag bis Sonnabend 14-18 Uhr.

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