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Helen Mirren auf der Berlinale 2020, als ihr der Goldene Ehrenbär fürs Lebenswerk verliehen wird.

© dpa/Jens Kalaene

Helen Mirren zum 80. Geburtstag: Königin des Krisenmanagements

Yes, Ma’am! Sie verkörpert Regentinnen, Rächerinnen, Rancherinnen, und das immer mit Noblesse. Eine Hommage an die große Schauspielerin Dame Helen Mirren.

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Sie lädt ihre Flinte, sie tötet, schreit die Berge von Montana an und steuert die Familienranch durch die Krise. Sie sät Zweifel bei ihrem Gatten, dem Clanchef, bis der vor den Augen der Verwandtschaft seinen besten Freund erschießt.

Helen Mirren in ihren jüngsten Rollen, als Rancherin Cara Dutton in der Western-Serie „1923“ und als Intrigantin Maeve Harrigan in der Bandenkriegs-Serie „MobLand“, eine Lady Macbeth im London der Gegenwart.

Zwei Matriarchinnen, zwei zähe, tatkräftige irische Einwanderinnen mit Macht- und Überlebensinstinkt: Vielleicht teilt Helen Mirren, die an diesem Samstag ihren 80. Geburtstag feiert, das Selbstbewusstsein mit ihren Figuren, weil sie selbst von Menschen abstammt, die sich durchschlagen mussten. Der Großvater floh vor der russischen Revolution nach London; der Vater, endgültig verarmter Adel, fuhr dort Taxi und änderte den Familiennamen Mironoff in Mirren; die Mutter stammt aus der Arbeiterschicht.

Vielleicht rührt daher auch ihr Pokerface. Sie spielt Monarchinnen – die legendäre Queen in Stephen Frears’ Biopic, Katharina die Große, Elisabeth I. –, Chefredakteurinnen, Lehrerinnen, die Kommissarin in der Krimiserie „Heißer Verdacht“ oder eine CIA-Scharfschützin in „R.E.D.“, Autoritätspersonen, die kaum je ihr Innerstes preisgeben. Frauen, die Haltung wahren, wie ihre Position es von ihnen verlangt.

Meisterin der Contenance

Feine Gesichtszüge, geschürzte Lippen, eine minutiös hochgezogene Augenbraue: Helen Mirren ist eine Meisterin der Contenance, des Lauerns vor der Attacke.

Andere ikonische Schauspielerinnen ihrer Generation, von Judi Dench über Vanessa Redgrave bis Meryl Streep, zeichnen sich durch Humor oder präzise Überzeichnung aus. Bei Mirren ist es die Selbstbeherrschung. Einsamkeit, Schmerz und Überforderung machen ihre Figuren mit sich selbst aus.

Dabei legt sie im Understatement ihrer Gestik und Mimik eine frappierende Körperlichkeit an den Tag. Allein wie sie in ihrer langjährigen Rolle als toughe TV-Kommissarin und Trinkerin Jane Tennison ihre Kostümjacke zurechtrückt! Oder wie sie im großen Finale von „Heißer Verdacht“ den Kollegen brüskiert, der ihr Respekt zollt. Nein, er soll nicht „Yes Ma’am“ sagen, sie sei ja nicht die Queen.

Wenn sie als besagte Regentin in „The Queen“ aber bemerkt, sie ziehe es vor, ihre Gefühle für sich zu behalten – während ganz England um Lady Di trauert –, scheint noch in der Diskretion die Anstrengung der Selbstdisziplin auf, der Mensch hinter dem Amt.

Mirrens berühmteste Szene: Queen Elizabeth bleibt mit ihrem Landrover im Bachbett stecken, beim Warten auf Hilfe registriert die Kamera unvermittelt ein lautloses Schluchzen. Plötzlich steht jener kapitale Hirsch vor ihr, den die männlichen Royals gerade jagen. Kurzes Staunen, ein leises Lächeln, feuchte Augen, lauf weg, schönes Tier. Mehr als für Diana zeigt sie Empathie für den Hirsch, den sie vor der Hatz zu retten versucht. Und reißt sich wieder zusammen.

Schönheitsideale? Nicht ihr Ding

Bereits als Sechsjährige soll Helen Mirren beschlossen haben, eine große Schauspielerin zu werden. Ihre erste Hauptrolle, mit 20: Kleopatra. Es folgte die Royal Shakespeare Company, im Kino hat es eine Weile gedauert. Heute zählt ihre Filmografie über hundert Titel, darunter ein gutes Dutzend TV- und Serienproduktionen. Neben dem Oscar für „The Queen“ 2007 hat Mirren Globes, Emmys und Tonys gewonnen, einen Berlinale-Ehrenbär, Auszeichnungen in Cannes und Venedig.

Dürre, Landfehden und Prohibition: Jacob (Harrison Ford) und Cara Dutton (Helen Mirren) müssen ihre Ranch in der Western-Serie „1923“ durch die Krise steuern.

© James Minchin III/Paramount+

Die innere Freiheit ihrer Figuren entspricht dabei der beruflichen Freiheit, die sie sich von Anfang an nahm. Ihre Sexyness hält sie in Ehren, aber das „Pretty Privilege“ lehnt sie ab.

Berühmt ihr Bonmot, Hollywood produziere nur Filme für Männer zwischen 18 und 25, und für deren Penisse. Ihren Ehemann, US-Regisseur Taylor Hackford, würdigt sie gern als Feministen, unvergessen auch ihre souveräne Replik auf einen BBC-Moderator, der sie 1975 als Sex-Queen ankündigt und in ihrem großen Busen ein Karrierehindernis sieht.

Glamour kann sie auch: Helen Mirren 2024 in Cannes.

© AFP/Sameer Al-Doumy

Die Trennung von Filmkunst und Entertainment, Charakterfach und Mainstream, ist ihr ohnehin fremd. In den Achtzigern stand Dame Helen Mirren – erst bei der zweiten Anfrage gestattete sie den königlichen Ritterschlag – im Fantasy-Blockbuster „Excalibur“ ebenso vor der Kamera wie in Peter Greenaways Arthouse-Schocker „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“.

In jüngerer Zeit trat sie viermal als Proll-Mutter in der Action- und Street-Racing-Reihe „Fast and Furious“ auf, aber auch als israelische Ministerpräsidentin „Golda“ Meir.  

Und das Alter? Falten im Gesicht, runzelige Haut, sie trägt sie wie Adelstitel, engagiert sich bei der Kampagne „Act now, age better“, leiht „Barbie“ ihre Stimme und dreht munter weiter. Ab August ist sie in der Netflix-Komödienserie „The Thursday Murder Club“ zu sehen, als patente Detektivin im Seniorenwohnheim.

Die Krise ist groß, die Männer schaffen es nicht, weder Harrison Ford als Familienoberhaupt in „1923“ noch Ex-Bond-Star Pierce Brosnan als Gangsterboss in „MobLand“. Es sind Frauen wie Helen Mirren, die den Laden schmeißen, heute mehr denn je.

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