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Förderer der Literatur. Gerhard Wolf.

© Aufbau Verlag

„Herzenssache“ von Gerhard Wolf: Eine Blütenlese der deutschen Literatur

Gerhard Wolf, der Mann von Christa Wolf, vereinigt in „Herzenssache“ 30 spannende Schriftsteller- und Künstler-Porträts. Die Kolumne Fundstücke.

Peter von Becker schreibt an dieser Stelle regelmäßig über literarische Trouvaillen. Nächste Woche: Gregor Dotzauer über Zeitschriften und Websites.

Manchmal wirkte es, als sei der jetzt 92-jährige Schriftsteller, Verleger und Lektor Gerhard Wolf nur „der Mann an ihrer Seite“ gewesen. Doch in Wahrheit stand Wolf keineswegs im Schatten seiner berühmten Frau Christa, mit der er bis zu ihrem Tod 2011 sechzig Jahre lang verheiratet war. Allenfalls stand er auch in ihrem Lichte – als Christa Wolfs erster Leser und literarisch engagierter Partner.

Nun hat Gerhard Wolf mit dem Band „Herzenssache“ (Aufbau Verlag, Berlin 2020, 285 Seiten, 22,- Euro) spät noch ein Hauptwerk seines eigenen, für Literatur, Kultur, Kunst bis heute engagierten Lebens herausgebracht. Er nennt es im Untertitel „Memorial – Unvergessliche Begegnungen“.

Gut 30 Porträts sind darin auf der Grundlage von Redemanuskripten bei Buchvorstellungen, Vernissagen, Preisen oder Begräbnissen gesammelt, nebst weiterführenden Essays oder Gesprächen mit seiner Frau etwa über den Kollegen Stephan Hermlin.

Auf bewundernswert uneitle, aber hochpersönliche Weise nähert sich Gerhard Wolf dabei nicht nur Literaten. Denn er ist auch bildenden Künstlern verbunden; zu seinen Freunden, Partnern, Idolen gehören so auch Gerhard Altenbourg oder der Designer und philosophische Denker Otl Aicher.

Einerseits gleicht diese Anthologie einer Kulturblütenlese der untergegangenen, bei Christa und Gerhard Wolf mitbetrauerten (idealer erhofften) DDR. Doch treten da gleichfalls nahe Freundinnen und Freunde aus dem Westen auf: die Publizistin Carola Stern, Günter Grass, Walter Jens und Otl Aicher, dessen Ideen einst den Münchner Olympiapark geprägt haben; oder die bald 99-jährige Berliner Verlegerin Maria Sommer.

Herausragend sind die intimen Essays über eine Auschwitz-Überlebende

Wolfs Laudatio auf Maria Sommer anlässlich der Verleihung der Rahel-Varnhagen-von-Emse-Medaille ist zugleich einer der schönsten Texte, und ihm ist der Titel „Herzenssache“ als bewegendes Motto eines Lebens für und mit den Künsten entnommen.

Über den Freund und Wolfs Berliner Nachbarn Volker Braun, über Hermlin, Stefan Heym, Jens oder Grass werden Kenner hier nicht unbedingt Neues erfahren. Aber ein Stück Literatur ist die Totenrede auf Irmtraud Morgner als „Scheherezade aus Sachsen“, und ein Beispiel freundschaftlicher Anerkennung trotz zuletzt politischer Differenzen bietet der Beitrag über Günter de Bruyn und „Mein Brandenburg“. Einer Entdeckung gleicht das Porträt der Künstlerin Christa Cremer, die tatsächlich im Schatten ihrer als Bildhauer dominanten Ehegatten Waldemar Grzimek und Fritz Cremer blieb.

Herausragend sind jedoch Wolfs intime Essays über die Auschwitz-Überlebende, Freundin und Anverwandte, die tschechische Übersetzerin Franci Faktorová – sowie über den 1959 in Weimar früh verstorbenen, heute vergessenen deutsch-tschechischen Dichter und Diplomaten Louis Fürnberg. Als Opfer erst der Nazis, dann des Stalinismus schrieb dieser: „Ich werde keine Ruhe finden / und mit dem Staub kämpfen, / der tun wird, als wäre er meinesgleichen.“

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