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Kino: Hiobs Botschaft: A Serious Man

Heimsuchung in Minneapolis: Joel und Ethan Coen erfinden die Tragödie eines lächerlichen Mannes.

Von Gregor Dotzauer

Erstens, weiß der Volksmund, kommt es immer schlimmer – und zweitens, als man denkt. In unseren säkularen Weiten reichen solche Erfahrungen gerade noch für die achselzuckende Formulierung von Murphys Gesetz, demzufolge alles, was schiefgehen kann, irgendwann auch schiefgeht. Wo dagegen noch der unerfindliche Ratschluss des Herrn als Beweggrund aller menschlichen Geschicke gilt, stellen Katastrophen wie eh und je die eigene Glaubensfestigkeit auf die Probe. Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg), ein braver Jude aus dem vorstädtischen Minneapolis, ist zu metaphysischem Heulen und Zähneklappern aber weder bereit noch in der Lage.

So wie die Gebrüder Joel und Ethan Coen in „A Serious Man“ ihr zerstörerisches Werk an ihm verrichten, hat er wenig vom alttestamentarischen Hiob, der in einer grausamen Wette zwischen dem Satan und dem lieben Gott zerrieben wird. Gopnik ist allenfalls ein Hiöbchen. Grundanständig und höflich, wie er sein Leben führt, ist Auflehnung nicht einmal gegenüber seinen Mitmenschen vorgesehen. Wie soll er da dem Himmel zürnen? Er ist ein williges Opferlamm auf dem Altar einer gepflegten bürgerlichen Absurdität, die er in einer Odyssee von Rabbiner zu Rabbiner überhaupt erst als theologische Zumutung zu begreifen lernt – wenn sich aus der in Rätseln sprechenden Lebenshilfe der Schriftgelehrten denn irgendetwas lernen ließe.

Trotz seiner um stoische Miene zum bösen Spiel bemühten Gutmütigkeit gibt es immer einen Augenblick der Verwunderung, wenn ihn nach dem ersten Nackenschlag ein zweiter und ein dritter und ein vierter treffen. Eine Braue, die sich zaghaft hebt, ein schräg gelegter Kopf, der Anflug eines Schreckens, der über sein Gesicht huscht. Gott weiß, dass man manche Menschen bis an den Rand des Todes quälen muss, damit sie sich zu einer angemessenen Reaktion bequemen. Nur die Coen-Brüder wissen jedoch, dass die schlimmsten Torturen auch die banalsten sind, und man, wie der Physikprofessor Gopnik, der kurz vor seiner Festanstellung steht, von einem koreanischen Studenten erst versuchsweise bestochen und dann erpresst wird.

Dass es die Nerven zerrüttet, zu Hause von einem pubertierenden Sohn, dessen launischer Schwester sowie einem geistig-seelisch minderbemittelten Bruder erwartet zu werden. Dass es einen Stich mitten ins Herz versetzt, wenn die Ehefrau Judith (Sari Lennick) dem öligen Charme des Nachbarn Sy Ableman (Fred Melamed) erliegt. Dass aber nicht einmal die biblischen Plagen an die Heimsuchung heranreichen, wenn man mit überirdischer Sachlichkeit per Telefon immer wieder daran erinnert wird, endlich die monatlichen Gebühren für ein Schallplattenabonnement zu entrichten, das der Sohn hinter dem eigenen Rücken angefordert hat.

Die stille Komik des Films entsteht aus der permanenten Verkehrung sämtlicher Dimensionen, wobei das Prinzip der Steigerung am Ende doch obsiegt: Und immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein neuer Hammer her. „A Serious Man“ ist die Tragödie eines lächerlichen Mannes, der in dem Moment, als er seine Rechtschaffenheit aufgibt, seiner endgültigen Strafe zugeführt wird – nur dass die Coens mit einem Gott kokettieren, der den Menschen ohne Ansehen von Schuld und Verdienst richtet.

Der theologische Überbau bricht ein zugunsten einer Welt der bloßen Zufälle und der Willkür. Religion ist hier nicht die Sinngebung des Sinnlosen, sie ist der letzte Aufstand eines sich selbst fremd gewordenen Judentums, bevor es vollends ins Psychotherapeutische kippt. Hinreißend die Szene, in der der Junior-Rabbi erklärt, Gopnik möge die Dinge doch einmal von einer anderen Seite betrachten. Der Rabbi biegt die Jalousien seines Büros auf, deutet auf den Parkplatz und fragt, ob das nicht ein wahrhaft überzeugendes Beispiel für die Schönheit der Schöpfung sei.

„A Serious Man“ spielt 1967. Gopniks verführerische Nachbarin (Amy Landecker) kifft, was die Tüte hergibt, Grace Slick singt die Jefferson-Airplane-Hymne „Somebody to love“, und Kameramann Roger Deakins verleiht dem Suburbia hyperrealistische Qualitäten. Der historische Abstand bietet aber nicht nur einen Einblick in die Kindheit der Gebrüder Coen, er lässt einen auch ermessen, welcher religiöse Bodensatz noch in der verzweifeltsten Rationalisierung menschlichen Unglücks vorhanden ist.

Gepriesen die Alten, die – wie im jiddischen Prolog aus dem polnischen Schtetl – noch unter mythologischen Wesen wie den Dibbuks lebten, dies aber mit einer Unbefangenheit taten, die es ihnen erlaubte, einem solchen Untoten auch mal das Messer in die Brust zu rammen. Vielleicht war die bärtige Nachtgestalt sogar noch am Leben, aber erledigt ist erledigt. Die heutigen Toten dagegen geistern durch unsere Alpträume, ohne dass man ihnen Einhalt gebieten könnte.

Jedes Detail ist wie immer bei den Coens liebevoll gearbeitet. Das jüdische Kolorit zeigt einmal ganz unverstellt den Nährboden, auf dem das absurde Universum der Brüder gewachsen ist. Wo man auch hinsieht, auf die sarkastische Zeichnung des antisemitischen rednecks next door oder die quantenmechanischen Formelgebirge, die Gopnik zur Illustration von Paradoxien wie Schrödingers Katze oder Heisenbergs Unschärferelation an der Tafel auftürmt, der Humor enthält oft auch eine leise Drohung.

Im Vergleich zu intellektuell weniger ambitionierten und vielleicht gerade deshalb raffinierteren Coen-Filmen wie zuletzt „Burn After Reading“ ringt der philosophische Aufwand schwer mit dem Ergebnis. „A Serious Man“ ist wie eine jener Parabeln, die Gopnik vom Rabbi zu hören bekommt. Von Satz zu Satz scheint sie auf eine gewaltigere Pointe zuzulaufen – und bleibt in der Luft hängen. Und jetzt, fragt man, und handelt sich sofort die Gegenfrage ein: Was, und jetzt?

Mehr lässt sich eben tatsächlich kaum sagen. Nur kürzer, wie in einer berühmten Fabel von Franz Kafka, wäre es zu haben: „,Ach’, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.’ – ,Du musst nur die Laufrichtung ändern’, sagte die Katze und fraß sie.“

Ab Donnerstag in 10 Berliner Kinos, OmU im Odeon, Hackesche Höfe, OV im Cinestar

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