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Aufmarsch der Verführten. Ein Fanfarenzug der „Hitler-Jugend“.

©  Verlag

Hitler und Berlin: Bildband zeigt Glamour und Alltag im Dritten Reich

Der französische Reporter Pierre Mac Orlan fotografierte das Berlin des Jahres 1935. Seine Bilder sind nun im Band „Berlin“ zu sehen – eine kleine Sensation.

Als Pierre Mac Orlans Büchlein „U-713 oder Die Unglücksritter“ von 1917, eine groteske Destruktion des fleißig verbreiteten Mythos von der U-Boot-Mannschaft als idealer Führer-Gefolgschaft in Mensch-Technik-Symbiose, erstmals auf Deutsch erschien, erinnerte die Rezension im Tagesspiegel (2. August 2014) an ein weiteres, der deutschen Veröffentlichung harrendes Buch des umtriebigen Autors: der Bildband „Berlin“ von 1935.

Nun ist auch dieser Band, für den man bislang antiquarisch bis zu 350 Euro aufrief, auf Deutsch zu haben. Man könnte ihn, wäre das nicht zu allerweltshaft, eine Sensation nennen. In einem Druck, der die Bilder schärfer als das Original präsentiert, zudem ergänzt um ein sehr kundiges Nachwort des Romanisten Wolfgang Asholt. Erschienen im Siebenhaar-Verlag, der sich wieder verstärkt Berlin zuwendet, unter anderem mit einer Reihe von zehn Bänden literarischer Geschichten entlang der Geschichte Berlins seit 1900.

Mac Orlan, heute auch in Frankreich kaum noch bekannt, war damals ein besonderer Deutschlandkenner unter den französischen Intellektuellen, die dem Surrealismus nahestanden. Walter Benjamin hat ihn als „eine der wichtigsten“ unter den Physiognomien der neuen französischen Intellektuellen bezeichnet, gar als den Laurence Sterne der neuen Franzosen: einen „ironischen Moralisten“.

Benjamin war nicht zuletzt fasziniert von dessen Kollaboration mit Zeichnern und seinem Interesse an Fotografie. Mac Orlan war ein Grenzgänger zwischen avantgardistischer Literatur und Journalismus. Befreundet mit Georges Grosz, bekannt mit Alfred Döblin – zur französischen Ausgabe von „Berlin Alexanderplatz“ schrieb er das Vorwort –, war nach dem Krieg immer wieder als Reporter in Deutschland unterwegs. Einige seiner Reportagen finden sich in dem Band „Ach, wie gut schmeckt mir Berlin“, 2010 bei Arsenal erschienen.

Sein Berlin-Bildband nun erschien 1935 in einem renommierten Reisebuch-Verlag und in heikler Zeit. Man fürchtete das Schlimmste und hoffte doch noch auf baldiges Verschwinden des Spuks.

Soldaten und Kriegstote

Wie zwiespältig der Blick von außen war, der – so Asholt – „Widerspruch zwischen einem Appeasement-Pazifismus und der Beunruhigung durch das Unheimliche“ war, zeigte sich auch darin, dass Mac Orlan zeitgleich zum Erscheinen seines Berlin-Buchs zu den Unterzeichnern eines Mussolini-freundlichen „Manifests zur Verteidigung des Abendlandes und des Friedens“ gehörte.

Von diesem Zwiespalt ist auch sein Bildband geprägt. Er besteht aus der Kombination von allgemein verfügbaren Pressefotos, jeweils zwei gegenüber – kontrastierend, wie es etwa auch Paul Flechtheim in seiner avantgardistischen Zeitschrift „Der Querschnitt“ praktizierte, und jeweils durch kleine kommentierende Textinserts ergänzt.

Gerade sie haben es in sich, verleihen sie doch den auf den ersten Blick banalen Fotos ihre abgründigere Tiefe. Der französische Kommentar gibt diesen deutschen Bildern etwas Emblematisches.

So zeigt ein Foto Soldaten, die in einer Feierstunde in der Oper die Kriegstoten ehren; das gegenüberliegende zeigt Zivilisten, die sich vor einer mit Kränzen geschmückten Grabstele drängen: „Während junge Soldaten in der Oper die Kriegstotenehren … protestiert die Menge mit entblößtem Haupt vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten gegen die Erfahrungen ihrer Älteren. Jedem sein Teil vom Unheil.“

Ein Kaisersohn in der Menge

Bei der Zusammenstellung ist der Autor nicht zimperlich: Bei dem angeblichen Denkmal des Unbekannten Soldaten handelte es sich, wie Wolfgang Asholt belegt, tatsächlich um die Grabstätte des Nazi-Märtyrers Horst Wessel.

Eine andere Kombination zeigt einerseits Hitler, umringt von trachtentragenden, bezopften Frauen, andererseits einen Mann mit Kampfmütze und breitem Hakenkreuzarmband, der für das Winterhilfswerk sammelt.

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„Hier mischt sich Prinz Wilhelm unter die Leute der Straße. Die Gelegenheit, etwas zu geben ist wichtiger als das, was man gibt, und der Regierungschef bietet den schönen, fröhlich beblumten Bäuerinnen das Almosen einer Erinnerung, die nie verwelken wird."

Nicht Kronprinz Wilhelm zwar, weist Asholt nach, aber doch einer der Hohenzollern, die heute ihr Almosen einsammeln wollen, nämlich Prinz August Wilhelm, der vierte Sohn des Kaisers.

Glamour und Elend

Meist jedoch verlangen die Bilder nicht nach detektivischer Lektüre, aber offenbaren gerade durch die ironisch-hintergründigen Kommentare allesamt auch heute noch das Unheimliche, Gespenstische der Zeit. Fasziniert von Werther und der Romantik, erschreckt und alarmiert durch die beiden Kriege 70/71 und 14/18, geht der Blick hin und her zwischen Glamour und Schlichtheit, Wohlstand und Elend, sachlicher Modernität und pathetischem Pomp, vor allem zwischen technologischer Effizienz und mobilisierten Massen.

Ob Männer oder Frauen, Alte oder Junge – deren massive Ballung fasziniert und schreckt zugleich. Schon beim Umschlag: Vorn die mittelalterlich kostümierten Panckgrafen auf der 700-Jahr-Feier von Bernau 1932 in feister Jovialität, hinten aus der mit Hakenkreuzfahnen bestückter Vogelperspektive die straffen Truppen der neuen Wehrmacht. Eine Seite davor junge Mädchen, die mit Hitlergruß begeistert aus dem Fenster schauen.

Dies alles zusammen gibt der Stadt eine sphinxische Physiognomie, aus deren Enträtselung sich uns neue Fragen auch ans Heute stellen.

Erhard Schütz

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