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Axolotl Roadkill: Höheres Abschreiben oder niederes Plagiat?

Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ und die Frage nach dem Autor im digitalen Zeitalter

Vor sechs Jahren machte ein Album in der Popmusikwelt Furore, das es als analogen Tonträger gar nicht zu kaufen gab. Es hieß „The Grey Album“, stammte von einem Musiker und Produzenten mit dem Künstlernamen Danger Mouse und war ein am Computer erstellter Remix aus dem „Weißen Album“ der Beatles und dem „Black Album“ des Hip-Hop-Superstars Jay-Z. Nur hatte sich Danger Mouse weder bei Jay-Z noch bei den Beatles und deren Plattenfirmen um die Rechte bemüht, weshalb sein „Grey Album“ auch nicht legal im Netz zu erwerben war. Trotzdem wurde es millionenfach heruntergeladen – und Musikmagazine wie der „Rolling Stone“ oder der „NME“ interpretierten es als einen Meilenstein in der Popmusik des 21. Jahrhunderts.

Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar schon die Sample- und Remix-Kultur, gerade im Hip-Hop und der Technomusik, auch das Phänomen „Bastard-Pop“ existierte bereits: MTV hatte dafür sogar eine Sendung, die „Mash“ hieß. Aber die Bekanntheit der Werke, auf die Danger Mouse zurückgriff, die konsequente Illegalität seines Tuns und sein Erfolg ließen die Rede vom Meilenstein schon mal zu.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung ist diese Form des Remixens nicht mehr auf die Popmusik beschränkt, sondern findet sich überall im Internet, bei Texten, Bildern und Filmen. „Mashup“ (englisch für Verknüpfung) heißt der Remix der nuller und zehner Jahre. Diesen erstellen Blogger, die Nachrichten in ihre Blogs übernehmen, oder Fotografen, die etwa bei der Fotosharing-Website „Flickr“ Fotos zusammenmontieren. Dazu gehört auch die Verknüpfung von Google Maps mit Wikipedia-Einträgen, von You-Tube-Videos mit Häkelarbeiten, von privaten Einträgen mit Ausstellungsankündigungen und so weiter: Stichwort Web 2.0.

Die 17-jährige Autorin und Filmemacherin Helene Hegemann, die sich jetzt wegen ihres Erfolgsromans „Axolotl Roadkill“ mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sieht (Tsp. vom 7.2.), ist ein Kind des digitalen Zeitalters. Sie selbst macht in einer ersten Stellungnahme zu den Vorwürfen keinen Hehl daraus: „... und da beraube ich total schonungslos meine Freunde, Filmemacher, andere Autoren und auch mich selbst. Wenn da (...) reininterpretiert wird, dass das, was ich geschrieben habe, ein Stellvertreterroman für die nuller Jahre ist, muss auch anerkannt werden, dass der Entstehungsprozess mit diesem Jahrzehnt und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts zu tun hat, also der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation.“

Das ist schön freimütig und dürfte Hegemanns jugendlichem Sturm und Drang geschuldet sein – um das „Recht zum Kopieren“, die Frage nach den Urheberrechten im digitalen Zeitalter wird schließlich seit langem exzessiv gestritten, wenngleich bisher ohne Ergebnis.

Doch weiß vermutlich auch Hegemann, dass ihr Buch nicht der ultimative erste „Mashup“-Roman ist, dass sie, Internet hin, Verknüpfen her, literarische Vorläufer hat: von der Cut-up-Literatur eines William S. Burroughs oder Rolf Dieter Brinkmann bis zu Thomas Mann, Robert Musil oder Gustave Flaubert.

Helene Hegemann nimmt für sich in Anspruch, an die juristische Tragweite nicht gedacht zu haben (hält sie den „Urheberrechtsexzess“ für beendet?). Doch es geht ja gerade um die Qualität des Remixens und Collagierens, ums „höhere Abschreiben“, wie Thomas Mann seine Arbeit mit unzähligen Informations- und Inspirationsquellen nannte; darum, wie man sein Material ordnet, arrangiert, verfremdet.

Schaut man sich auf der Website www.gefühlskonserve.de des Bloggers Deef Pirmasens um, wie wortwörtlich sich Hegemann bei dem Berliner Blogger Airen bedient hat (egal, ob aus dessen Blog oder dessen Roman „Strobo – Technoprosa aus dem Berghain“), dann hat das viel Scham- und Kunstloses.

Es fällt aber gleichzeitig im Kontext ihres Romans nicht weiter auf – wenn man Airens Blog nicht kennt. Zumal Hegemann einmal schön mit dem Zitat „Berlin is here to mix everything with everything“ spielt und auf einen Blogger verweist. Man fragt sich auch: eine 17-Jährige, die es nicht schafft, ins Berghain eingelassen zu werden? Deshalb ein Plagiat? Wohl eher nicht.

Fast noch fragwürdiger ist es, den Song einer englischen Band ins Deutsche zu übertragen und als eigene Prosa auszugeben (auch weil Hegemanns popkultureller Zitatenschatz ansonsten sehr groß ist). Das dürfte die Spurensuche nur anheizen: „Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust“, heißt es einmal. Mal abgesehen davon, dass so ein Satz ziemlicher Stuss ist: von Hegemann? Geklaut? Auch hier sagt die Protagonistin kurz vorher: „Mir wurde eine Sprache einverleibt, die nicht meine eigene ist.“

In den nächsten Tagen wird Hegemanns Roman noch einmal anders gelesen und beurteilt werden. Ob „Axolotl Roadkill“ die Nominierung für die Shortlist des Leipziger Buchpreises behält, die am Donnerstag bekannt gegeben wird?

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