Kultur: Holocaust-Plakat: Schreiben Sie mir auf mein Konto
Wenn es um Juden geht, setzt bei vielen Zeitgenossen der Verstand aus. Geht es um den Holocaust, fangen sie am liebsten mit dem Denken gar nicht erst an.
Wenn es um Juden geht, setzt bei vielen Zeitgenossen der Verstand aus. Geht es um den Holocaust, fangen sie am liebsten mit dem Denken gar nicht erst an. "Ein einzigartiges Ereignis wie der Holocaust muss einzig-artig vermittelt werden", sagt Lea Rosh und merkt nicht, was sie sagt. Wo die "Einzigartigkeit" zum entscheidenden Kriterium wird, verschwinden die Grenzen zwischen Sinn und Unsinn, und am Ende der moralischen Zielgeraden ist es der Zweck, der die Mittel heiligt.
Diesen unsäglichen Satz soll auch Alexander Brenner, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, gesagt haben, als er nach seiner Meinung zu dem Holocaust-Plakat am Pariser Platz gefragt wurde. Auch Brenner, der Erfahrungen mit zwei Diktaturen machen musste, die ihre Verbrechen mit eben diesem Anspruch rechtfertigten, sollte es besser wissen. Im Talmud ist die Rede von der Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit, die der Mittel und die der Ziele, ohne die eine kann es die andere nicht geben. Im vorliegenden Fall gilt weder der Satz von dem Zweck, der die Mittel heiligt, noch von der Einzigartigkeit des Holocaust, die nach einer Einzigartigkeit der Vermittlung verlangt. Es geht um etwas viel einfacheres, banaleres und menschlicheres: Wichtigtuerei. Eine Attitüde, die Lea Rosh immer wieder ihren Kritikern vorwirft, ohne zu merken, dass es ihre ureigene Triebfeder ist, mit der sie um einen Platz an der Rampe auf der deutschen Freilichtbühne kämpft. Und um einen Eintrag in das Guiness-Buch der Rekorde für eine wirklich einzigartige Leistung: Wie man ein absurdes Projekt mit absurden Mitteln im Gerede hält.
Das Holocaust-Mahnmal, um das Lea Rosh seit 12 Jahren kämpft, wird gebaut werden, obwohl alle Beteiligten wissen, dass es keinem anderen Zweck dient, als dem Ehrgeiz ihrer Promoter ein Denkmal zu setzen.. Ausdauer und Konsequenz waren schon immer deutsche Tugenden, bei der Organisation des Holocaust wie bei der Durchsetzung des Holocaust-Mahnmals. In der US-TV-Serie gleichen Namens unterhalten sich zwei NS-Funktionäre darüber, ob es nicht besser wäre, die "Endlösung" abzubrechen; sie binde zu viele Kräfte, die für den Fronteinsatz gebraucht würden. Das können wir uns jetzt nicht mehr leisten, sagt der andere, dann würden wir ja zugeben, dass wir einen Fehler begangen haben. Denn: Ein Fehler ist schlimmer als ein Verbrechen.
Es ist ziemlich unwichtig, ob der Satz auf dem Plakat ("den holocaust hat es nie gegeben") von Passanten missverstanden werden könnte, weil sie das Kleindruckte nicht mitbekommen. Wer so argumentiert, lässt die gesamte Diskussion der letzten Jahrzehnte außer Acht. Auch 500 Jahre nach Kopernikus gibt es ein paar Irre, welche die Erde für eine Scheibe halten. Es spielt ebenso keine Rolle, ob Überlebende des Holocaust sich verletzt fühlen könnten. Auch das kann, sorry, kein Maßstab sein. Einige waren gekränkt, als Joshua Sobols Stück "Ghetto" aufgeführt wurde, anderen fanden Radu Mihaileanus schwarze Komödie "Der Zug des Lebens" unzumutbar.Der öffentliche Raum, in dem diskutiert wird, ist keine Ambulanz, in der Verletzte behandelt werden. Deshalb muss Lea Rosh ernst genommen werden, so ernst, wie sie es verdient.
Der Satz soll, sagt der Regierende Bürgermeister, "eine Provokation" sein, der die Diskussion fördere. Worüber, lieber Klaus? Ob es den Holocaust gegeben hat oder wie man auf Kosten der Holocaust-Opfer eine dicke Lippe riskiert? Die Diskussion über die Nachwehen des Holocaust findet schon lange statt. Eva Menasse spricht in der FAZ von einer "autoritären Pädagogik" und vom "Gesinnungsterror" der Veranstalter, die den Holocaust zu einem "löchrigen Schlagwort" machen. Es ist noch ärger. Der Holocaust wird privatisiert, wie das Brandenburger Tor, und diejenigen, die vor den Folgen der Entwicklung warnen, bieten sich zugleich als Retter an. Angeblich hat eine Werbeagentur an dem Text "lange gefeilt". Herausgekommen ist eine falsche Behauptung, die weder neu noch provokativ ist und eine idiotische Erklärung: "Es gibt immer noch viele, die das behaupten. In 20 Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden Sie deshalb für das Denkmal..."
Wie viele Deutsche in 20 Jahren glauben werden, den H. habe es nie gegeben, ist eine frivole Überlegung, die nur so tut, als ginge es ihr um die historische Wahrheit. Es könnte sein, dass in 20 Jahren viel weniger Deutsche glauben werden, den H. habe es nie gegeben, weil viel mehr Deutsche als heute sich nicht mehr schuldig und verantwortlich fühlen werden. Unabhängig davon wird ein Mahnmal in 20 Jahren keinen Zweifler von seinen Zweifeln abbringen. Ob das Mahnmal gebaut wird oder nicht, spielt für den Prozess des Aufklärens wie des Vergessens keine Rolle.
So findet die Privatisierung des Holocaust auf zwei Ebenen statt: Die einen "glauben" oder "behaupten", es habe ihn gegeben, die anderen "glauben" oder "behaupten" das Gegenteil. Und dazwischen betreibt Lea Rosh einen kleinen Ablasshandel. Wer eine 0190-Nummer anruft, bekommt 5 Mark vom Konto abgebucht und kann, wie bei der Aktion Sorgenkind, das Gefühl genießen, etwas Gutes getan zu haben. Allerdings: wenn nicht genug Spenden zusammenkommen, könnten die Leugner in 20 Jahren in der Mehrheit sein. Ob es den Holocaust also gegeben hat oder nicht, hängt am Ende davon ab, wieviel Geld gespendet wurde. "Schreiben Sie mir", hat Wolfgang Neuss die Besucher seiner Programme immer gebeten, "schreiben Sie mir auf mein Konto".