
© Jörg Wiesner
Hommage an die Choreografen-Ikone Jiří Kylián: Tanz des Lebens
Das Norwegische Nationalballett feiert den Choreografen Jiří Kylián mit der großen Retrospektive „Wings of Time“. Das Staatsballett Berlin zeigt auch eine seiner Choreografien.
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Die Norwegische Oper ist eine der größten Attraktionen Oslos. Das Gebäude aus weißem Marmor, das an einen Eisberg erinnert, ist von außen begehbar. Derzeit lenkt vor allem die Glasfassade die Blicke auf sich. Acht weiße Figuren schweben in der Luft, wirken wie angehalten im freien Fall. „Moving Still“ heißt die Installation, die der Choreograf Jiří Kylián entworfen hat.
Von acht Tänzerinnen und Tänzern hat er 3-D-Scans anfertigen lassen, aus denen dann die mehr als lebensgroßen Skulpturen entstanden sind. Die sind Vorboten für das, was auf der Bühne geschieht: Mit „Wings of Time“ präsentiert das Norwegische Nationalballett die weltweit größte Jiří Kylián-Retrospektive. Bis zum 14. Juni werden sieben seiner Ballette sowie Installationen, Filme und Fotografien gezeigt. Das Festival macht nun die ganze Bandbreite seines künstlerischen Schaffens sichtbar.
Von John Cranko gefördert
Jiří Kylián, einer der größten Choreografen unserer Zeit, hat seine Karriere im Westen aufgebaut. Der legendäre John Cranko hatte ihm ein Engagement beim Stuttgarter Ballett angeboten. Das war 1968. Als Kylián kurz nach der sowjetischen Invasion Prag verließ, wusste er, dass er nicht mehr zurückkehren würde. In Stuttgart entwickelte er seine ersten Choreografien. Von 1975 bis 1999 leitete Kylián das Nederlands Dans Theater (NDT) und formte es zu einer der besten zeitgenössischen Compagnien.
Dem Norwegischen Nationalballett ist Kylián seit vier Jahrzehnten verbunden. Zum Auftakt des Festivals interpretierten die Tänzer drei wegweisende Choreografien aus seiner späteren Phase. „Bella Figura“ (1995), „Wings of Wax“ (1997) und „Gods and Dogs“ (2008) zeigen Kylián auf der Höhe seines Schaffens. Die drei Werke zeichnen sich durch große Musikalität und tiefe Emotionalität aus.

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Zugleich wird deutlich, dass Kylían aus einem reichen Bewegungsrepertoire schöpft und dem Tanz immer neue Ausdrucksformen erschließt. Seine Pas-de-deux-Variationen sind umwerfend. Er zeigt nicht nur Aufschwünge und Hebungen, das Streben in die Höhe, über sich selbst hinaus. Seine Choreografien sind erdverbunden, die Tänzer gleiten immer wieder zu Boden.
Das Staatsballett übernimmt die Choreografie
„Gods and Dogs“ wird Ende Juni auch vom Staatsballett Berlin übernommen. „Der Titel erzählt eigentlich alles“, sagt Kylián. „In jedem von uns ist etwas Göttliches und etwas Animalisches. Es hängt oft nur von der Situation ab, in die man hineingeworfen wird, welcher Teil zum Vorschein kommt.“
Der Höhepunkt des Festivals ist der Abend „Day after Yesterday“, bei dem das Ballett vom Opernorchester und Opernchor begleitet wird. Das Programm beginnt mit „Forgotten Land“ (1981), das von Edvards Munch Gemälde „Tanz des Lebens“ inspiriert ist. Diesen Reigen der verschiedenen Lebensalter zu Brittens „Sinfonia da Requiem“ interpretieren die fabelhaften Tänzer mit Verve und Leidenschaft.

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Den Abend beschließt „Symphonie of Psalms“ (1978) zu Musik von Strawinsky. Kylián illustriert hat in diesem bahnbrechenden Werk nicht die religiösen Texte. Er zeigt seine eigene Sicht auf den Menschen, seine irdischen Nöte und seine Suche nach Spiritualität. Die Tänzer verleihen der Choreografie eine ergreifende Innerlichkeit.
Wie stark Kylián von seiner Heimatstadt Prag geprägt ist, zeigen die vier Filme. Die überragende Darstellerin ist seine Lebensgefährtin, die Tänzerin Sabine Kupferberg. „Car-Men“ entfaltet eine rasende Komik, wenn Kupferberg als Carmen vom Schrottplatz die Männer provoziert. Bei der Vorführung saß auch die Schauspielerin Liv Ullmann im Publikum. Weitere große Namen haben sich angekündigt: Auch Tanzikone Mikhail Baryshnikov wird nach Oslo kommen.
„Wings of Time“ ist eine einzigartige Würdigung von Kyliáns Schaffen. Der Geehrte, mit 78 noch fit, fühlt sich offenkundig wohl in Oslo, wo mehrere Generationen von Tänzern seine Werke interpretieren und lebendig halten.
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