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Eine Demo des Bürgervereins "Zukunft Heimat" gegen Flüchtlinge am 17. März in Cottbus.

© Carsten Koall/dpa

Buch über Populismus: Hopfen und Pfalz, Gott erhalt’s!

Sehnsucht nach Heimat? Wir und ihr? Nationale Identität? Ein neues Buch über alte und neue Populismen gibt erhellende Antworten.

Von Caroline Fetscher

Auf das Heimatministerium darf man gespannt sein. Eben erst wurde es erschaffen, als verbale Ergänzung zum Innenministerium, und noch hat es nur seinen Namen, noch ist es ein Mysterium. Worum geht es überhaupt bei der Sehnsucht nach Heimat und in den Diskussionen um Wir und Ihr, Nation und Volk, Bevölkerung und Grenzen? Antworten auf solche Fragen gibt eine von Richard Faber und Olaf Briese herausgegebene Sammlung von Analysen, die kaum aktueller, frischer und erhellender sein könnten. (Heimatland – Vaterland – Abendland. Über alte und neue Populismen. Königshausen und Neumann, Würzburg 2018, 248 S., 39,80 €)

Überraschend etwa die historische Darstellung von Wilhelm Kreutz in seinem Beitrag „Die Pfälzer – ein deutscher Stamm? Eine überrepräsentativen Fallstudie“. Während Helmut Kohl in vielen Nachrufen, wie schon bei seinem Biographen, „als Inkarnation pfälzischer Eigenschaften“ galt, und die Pfalz eine tief verwurzelte regionale Identität zu besitzen scheint, ist sie tatsächlich, so Kreutz, ein eher jüngeres „Ergebnis politischer Wechselfälle“. Der „Stamm“ der Pfälzer entstand in transformativer, völkischer Bastelarbeit ab Beginn des 19. Jahrhunderts, was mit der gescheiterten Revolution von 1848 ebenso zu tun hat wie mit dem 1901 gegründeten „Pfälzerwald-Verein“, der 1905 erfundenen Pfälzer Tracht und der 1907 entworfenen Pfälzer Fahne.

Alle Autoren verfolgen das schöne Projekt, das politische Universum der Gegenwart zu weiten. Christoph Türcke untersucht Nation, Volk und Heimat als „drei kompromittierte Begriffe, die gleichwohl unaufgebbar bleiben“. Unter der Idee der „Nation“ waren in der Französischen Revolution theoretisch alle Franzosen versammelt, doch sogar während der großen Inklusionen tauchten völkisch gefärbte Exklusionen auf: Waren nicht etwa die deutsch sprechenden Elsässer mit den Preußen im Bunde? Entgleisungen ins Völkische intensivierten sich in ganz Europa und gingen beiden Weltkriegen voraus.

Eine gute Ergänzung zu Zygmunt Baumans Nostalgie-Analyse "Retrotopia"

Schon in der Antike gab es vergleichbare Phänomene, wie der an der FU lehrende Kultursoziologe Richard Faber erklärt, der sich „Populismus und Cäsarismus“ ebenso widmet wie den Etappen der Radikalisierung von Rechtspopulismus zu Rechtsradikalismus. Realistisch konstatiert der Kulturwissenschaftler Olaf Briese in seinem Essay, dass Nationen, mit ihren hochkomplexen ökonomischen, administrativen und sozio-kulturellen Funktionen nicht „plötzlich hinwegzufegen, nicht plötzlich aufzuheben“ sind, und allein durch den Großbegriff von Europa ersetzt werden können. Allerdings gilt es, so Olaf Briese, ideologischen Extremismen mit ihrer vereinfachenden Verführungskraft entgegenzutreten, Phänomenen wie den Populisten in Polen, Österreich, Russland, der Türkei, wie Berlusconi, Trump oder Pegida.

Der Band bietet auch eine gute Ergänzung zum letzten Werk des polnischstämigen Soziologen Zygmunt Bauman, der mit „Retrotopia“ das Zeitalter der Nostalgie beschrieb, die Rückkehr ans „Stammesfeuer“, in den heimatlichen „Mutterleib“ aus Angst vor Technologiewandel, Globalisierung und Migration. Bauman sah eine Umkehr des utopischen Blicks ins Gestern statt in die Zukunft. (Retrotopia. Aus dem Englischen von Frank Jakubzik. Suhrkamp, Berlin 2017. 200 Seiten, 14 €) Seine Schlussfolgerung: „Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.“

Allen, die derzeit "Abendland, Abendland!" skandieren, sei das Buch empfohlen

„Heimatland – Vaterland – Abendland" ist die Ernte aus einer von den beiden Herausgebern organisierten Ringvorlesung im Sommersemester 2017 an der Humboldt-Universität. Jetzt haben auch die, die nicht dort waren, Gelegenheit, die Früchte zu genießen. Mehr faktenreiche und klug komprimierte Substanz lässt sich zu diesem Thema kaum vorstellen. Allen, die derzeit "Abendland, Abendland!" rufend durch die Straßen ziehen oder durch die Talkshows tingeln, sei das Buch ans Herz gelegt, und allen anderen ohnehin. Hier finden sich Hintergründe und Argumente, wie die Debatten der Gegenwart sie dringend brauchen.

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