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Emma Mackey (rechts) und Vickie Krieps in „Hot Milk“ von Rebecca Lenkiewicz.

© Nikos Nikolopoulos / Mubi

„Hot Milk“ auf der Berlinale: Gefühle flirren in der Wüstenhitze

Rebecca Lenkiewicz eröffnet mit „Hot Milk“ den Wettbewerb vielversprechend. Emma Mackey und Vickie Krieps spielen zwei junge Frauen, die alte Verhaltensmuster zu überwinden versuchen.

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Der Baum am Strand ist eine Illusion, seine Äste sind nur angeschraubt. In den 1960er Jahren war die Wüste von Almería ein beliebter Drehort für Italo-Western, die Requisiten blieben zurück und verstärken der Eindruck der kargen Vegetation noch. Die trockene Wüstenhitze ist auch das perfekte Reizklima für unterschwellig siedende Emotionen. Sofia (Emma Mackey) kommt mit ihrer Mutter Rose (Fiona Shaw) für eine Therapie nach Südspanien.

Rose kann nicht mehr laufen, sie sitzt den ganzen Tag im Rollstuhl und triezt ihre Tochter mit bissigen Kommentaren. Aber alle ärztlichen Diagnosen blieben erfolglos. Nun ist der ominöse Arzt Gomez (Vincent Perez), der in einer kleinen Küstenstadt eine Privatklinik betreibt, die letzte Hoffnung. Sofia wiederum sieht in der Reise eine Chance, sich von Roses Einfluss zu lösen. Der Trip wird ein Abnabelungsprozess für Mutter und Tochter, mit Unterstützung der freigeistigen Ingrid (Vicky Krieps), die Sofia plötzlich am Strand im grellen Gegenlicht auf einem Pferd erscheint.

Gefangen in alten Verhaltensmustern

Der erste Wettbewerbstag ist der Lackmustest für ein Filmfestival, das gilt für Tricia Tuttle dieses Jahr vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Im Idealfall setzt er früh ein Ausrufezeichen! Mit Huo Mengs Drama „Living the Land“ über eine Bauernfamilie, die Anfang der 1990er Jahre die Transformation Chinas in eine Industrienation durchmacht, beginnt der Wettbewerb noch etwas ruckelig, die Geschichte verliert sich trotz der Perspektive des zehnjährigen Chuang in seinen vielen Figuren und Geschichten.

Ganz anders „Hot Milk“, das erstaunlich versierte Regiedebüt der britischen Dramatikerin und preisgekrönten Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („Ida“, „She Said“), das sich ganz auf seine drei Frauenfiguren konzentriert. Mackey und Shaw haben eine großartige Chemie, ihre gegenseitige Genervtheit ist grundiert von einer tiefen Zuneigung. Ingrid macht sich über Sofia lustig, weil die Anthropologin Margaret Mead studiert, aber selbst in Verhaltensmustern gefangen ist. Dabei merkt sie zunächst gar nicht, dass sie Sofia genauso braucht wie andersherum, um den Schmerz ihres alten Lebens hinter sich zu lassen.

Von Selbsttäuschungen und verdrängten Traumata handelt „Hot Milk“, aber Lenkiewicz trägt das Drama nie zu dick auf. In der flirrenden Hitze nimmt auch eine intensive Sommerromanze zwischen Sofia und Ingrid Gestalt an, die sich möglicherweise als Fata Morgana entpuppt. Sofia wird zwischen den beiden Frauen, die ihre Entscheidungen bestimmen, langsam zur handelnden Person, bis Mackeys trotzige Mundwinkel eine ungeahnte Weichheit umspielt.

Lenkiewicz sagt über „Hot Milk“, dass sie kein Frauendrama drehen wollte, es war ihr aber wichtig, dass ihre Geschichte keine leichten Antworten auf die schwierigen Fragen findet, die weit in die Biografien ihrer Protagonistinnen zurückreichen. Seine emotionale Kraft entwickelt der Film, weil sie sich miteinander der Vergangenheit öffnen. Aber es ist auch ein harter Film, mit einer der kompromisslosesten Schlussszenen der jüngeren Kinogeschichte.

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