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Gerichtsreporterin und Schriftstellerin Gabriele Tergit.

© Jens Brüning

"Käsebier erobert den Kurfürstendamm" neu aufgelegt: Hype und Krise

Wieder aufgelegt: Gabriele Tergits Meisterwerk „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“.

Dialog in einer Berliner Zeitungsredaktion: „Die Leute können alle nicht schreiben. Keiner kann eine gute Reportage machen. Es fällt niemandem was Neues ein.“ –„Über die Toilettenverhältnisse in den Berliner Schulen sollte man mal was schreiben.“ Was sich anhört wie ein Redaktionsgespräch von heute, spielt 1929 in der fiktiven Redaktion der Berliner Rundschau, wo sich ein Großteil von Gabriele Tergits Roman „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ zuträgt. Statt über Toiletten schreibt einer der Journalisten über den Volkssänger Georg Käsebier, der in der Hasenheide auftritt. Der Artikel löst einen Hype aus. Bald tritt Käsebier im Wintergarten auf, es gibt ein Buch, einen Film und Puppen mit seinem Namen. Sogar ein eigenes Theater am Ku’damm soll er bekommen. Doch schnell geht es mit dem Sänger und dem Bau wieder bergab. Auch die Zeitung gerät in eine Krise.

Gabriele Tergit, die 1894 als Elise Hirschmann in einer jüdischen Familie zur Welt kam, arbeitete als Gerichtsreporterin und Feuilletonistin beim „Berliner Tageblatt“, was die Lebensnähe der Redaktionsschilderung erklärt. Auch die Berliner Gesellschaft der späten Weimarer Republik, die Schiebereien und die Sensationsmacherei beschreibt sie luzid, temporeich und zeitlos gültig. Weshalb ihrem Debüt eigentlich ein Platz neben Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ und Kästners „Fabian“ gebührt, wie Nicole Henneberg im Nachwort der schönen Neuausgabe richtig anmerkt. Dass dieses Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit immer wieder in Vergessenheit geriet, liegt auch daran, dass es lange Perioden gab, in denen es nicht lieferbar war. So wird Gabriele Tergit, die 1933 aus Deutschland floh und 1982 in London starb, nun schon zum dritten Mal wiederentdeckt. Hoffentlich diesmal ein für alle mal.

Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm. Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt/ Main 2016. 392 Seiten, 24,95 €

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