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Aufnahmen als Souvenir. Der syrische Filmemacher Avo Kaprealian.

© Berlinale

„Houses Without Doors“ auf der Berlinale: „Ich bin der Mann, der um seinen Tod fleht“

Avo Kaprealians „Houses Without Doors“ im Forum ist eines der wenigen Dokumente aus dem Innern des syrischen Bürgerkrieges. Eine Begegnung mit dem Regisseur.

Im Zentrum des Krieges bekommt man am wenigsten von ihm mit. Wo die Bombe heruntergegangen sei, will die Mutter von Avo Kaprealian nach einer dumpfen Detonation wissen, ihre Hände im Spülwasser. Der Sohn schätzt die Entfernung. Vom Wohnzimmer aus ist nichts zu erkennen. „Die Scheiben haben geklirrt“, sagt die Mutter.

Es sieht einfach nicht nach Krieg aus, was sich vor dem Balkon von Familie Kaprealian abspielt. Männer auf der Straße, vage gestikulierend, Männer, abwartend in einer Ladentür. Männer, die das Bild einer Frau am Kühlergrill eines Beerdigungswagens befestigen, sie schmücken das Auto mit Blumen und beladen es schließlich. Einmal schlendert ein korpulenter Kerl mit einer Kalaschnikow über den Gehweg. Kurz darauf verwehren lächerlich kleine Barrikaden die Durchfahrt durch die Straße, die bis vor einem Jahr Avo Kaprealians Heimat war.

„Beim Durchsehen des Materials habe ich später begriffen“, sagt der junge syrische Regisseur, „dass der Krieg uns von Beginn an Warnsignale geschickt hat. Wir sahen die Rauchsäulen und dachten, dass die Kämpfe weit weg sein müssten. Am Himmel kreisten Hubschrauber, aber auch die schienen fern. Dabei war der Krieg so nah wie er nur sein konnte.“

Homemovie aus dem Bürgerkrieg

Aleppo war zunächst nicht in den Aufstand gegen das Assad-Regime hineingezogen worden. Doch 2013 zerfiel auch die Welt der Kaprealians. Sie standen Todesängste aus, saßen in der Falle, als Bomben in ihrer Straße niedergingen. Gegenüber starben sechs Kinder im Schutt eines einstürzenden Hauses.

Das Haus hatte Avo Kaprealian zuvor oft mit seiner Videokamera aufgenommen. Jetzt war da nur noch eine aufgeplatzte Fassade, und auf der Straße versuchte jemand Geröll und Staub von der Fahrbahn zu kehren. Kaprealians Film „Houses Without Doors“ ist eines der wenigen Dokumente aus dem Inneren des Bürgerkriegsgebiets. Ein syrisches Homemovie vom Fenstersims, über drei Jahre zusammengesetzt aus den zweiminütigen Schnipseln, die Kaprealian sich überhaupt nur erlaubte, pro Tag aufzunehmen.

Nur das Gedächtnis bleibt

Was passieren konnte, wenn er entdeckt würde, hatte er selbst erlebt. „Das Konzept des Sehens ist sehr gefährlich“, sagt er in dem Berliner Kaffeehaus, in das er praktisch direkt von seinem neuen Domizil in Beirut aus eingeflogen ist. Avo Kaprealian trägt einen statthaften Vollbart. Er meint: In einem Krieg, in dem es keine Beobachter geben soll, sei jeder nur damit beschäftigt, jeden anderen zu beobachten. So setzt sich der Konflikt auf der Ebene des Sehens fort.

Schon früh war der Dramaturgie-Student Kaprealian mit der Kamera in und um Aleppo unterwegs gewesen, um die Katastrophe festzuhalten, mit der er fest rechnete. Er wurde erwischt „von denen“, wie er sich ausdrückt. Sie konfiszierten die Festplatte mit seinen Aufzeichnungen. Da stellte sich für ihn die Frage, wie er die Erinnerung erhalten könne.

In Kaprealians armenischer Familie ist diese Frage von jeher präsent. Seinen Vorvätern, die den Völkermord an den Armeniern überlebt und in Aleppo vor hundert Jahren eine neue Heimat gefunden hatten, war nichts geblieben außer ihr Gedächtnis. Nun ein zweites Mal gewaltsam vertrieben zu werden und sich wie in einen Schicksalskreis eingesponnen zu fühlen, ist für die Kaprealians ein Schock.

„Sie werden dir die Kamera kaputt machen.“

„Kennen Sie Heiner Müller?“, fragt Avo. „Ich bin ein Pessimist und durch ihn wurde ich noch pessimistischer.“ Wie Heiner Müller die Wiederkehr des Unheils darstellte als Folge historischer Traumata, die den Toten zu viel Gewicht verleihen, hat ihn die eigene Situation als Armenier begreifen lassen. „Ich glaube nicht an Revolutionen“, fährt er fort, „jeder stirbt für sich allein. Aber ich würde gerne mit Müller diskutieren, wie ein revolutionärer Film aussehen müsste.“

Seinen Vater bringt er mit seiner Kamera an den Rand der Verzweiflung. „Du bist hier nicht allein“, sagt der bedächtige Mann, „es wird bald vorbei sein.“ Die Aufnahmen seien bloß ein Souvenir, entgegnet der Sohn. Worauf der Vater meint: „Sie werden dir die Kamera kaputt machen.“

Es ist ein gewöhnlicher Schlagabtausch zwischen den Generationen. Dafür bedarf es eigentlich keines Krieges. Und doch findet jenseits der Vorhänge ein solcher statt, ein „blinder“, bilderloser Krieg. Dessen zermürbende Anwesenheit sprengt Kaprealians Tagebuch-Narrativ. Denn die Gewalt teilt sich mehr über die Geräuschkulisse als über Bilder mit. Und was sie mit einem anstellt, agiert Kaprealian in einer wilden Collage symbolischer Bilder aus.

Um seine Verzweiflung über „die Wiederkehr des Gleichen als eines anderen“ (Heiner Müller) auszudrücken, bedient sich der Regisseur an Archivmaterial vom armenischen Völkermord sowie des surrealen Westerns „El Topo“ von Alejandro Jodorowsky. Man sieht ein nacktes Kind an der Hand eines Killers durch die Szenerie eines Massakers gehen. Das Kind solle das sehen, um zum Mann zu werden, sagt der Killer. Am Boden windet sich blutüberströmt ein Mann. „Bitte, tötet mich“, sagt er und der Killer gibt dem Kind seinen Revolver.

Sind Sie das Kind, Herr Kaprealian?

„Nein, ich bin der Mann, der um seinen Tod fleht.“

Vorführungen: 15.2., 16 Uhr (Delphi Filmpalast), 20.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4)

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