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Kultur: Ich wäre auch zu einer Talentshow gegangen

Tom Jones war überall: ganz oben, ganz unten, in Las Vegas und in fremden Betten. Ein Gespräch über Showgeschäft und Jugendwahn

Mister Jones, seit vier Jahrzehnten nennt man Sie den Tiger. Wenn Sie die Wahl hätten, sich ein anderes Tier auszusuchen ...

Ich finde Tiger ziemlich passend. Den Namen habe bekommen, als ich in einer Kneipe in Wales auftrat. An jenem Abend hätten eigentlich zwei Bands auftreten sollen. Aber die zweite Gruppe kam nicht und ich musste mit meiner Band vier Stunden auf der Bühne bleiben. Es war eine Tanzveranstaltung, ich musste den Ball im Spiel halten. Ich zerbrach mir den Kopf, welche Songs ich singen sollte und rannte auf der Bühne auf und ab. Ein Journalist schrieb dann, ich wäre herumgeschlichen wie ein Tiger. Heute bin ich nur ein älteres Exemplar dieser Gattung.

Sie heirateten mit 16, mit 17 Jahren wurden Sie Vater. War das das Ende Ihrer Jugend?

Nein. Ich wuchs in einer Gemeinschaft auf, in der das normal war. Mein Vater zum Beispiel hatte fünf Geschwister. Meine Mutter auch. Alle hatten Kinder. Vater zu werden, gab mir das Gefühl, stärker zu werden. Ich wollte wie mein Vater sein: ein Macho, der in den Pub geht. Ich wollte mit ihm und seinen Brüdern einen trinken. Als ich selbst Vater war, konnte ich das endlich. Ich war zwar erst 17, aber ich galt jetzt als Mann, der Wirt stellte mir kommentarlos mein Glas hin.

Ihre Heimatstadt Pontypridd liegt in Wales. Wie war es, Mitte der fünfziger Jahre in einer kleinen Bergarbeiterstadt Teenager zu sein?

Wir hatten das Gefühl, an einer Zeitenwende zu leben. Die Alten dachten, wir wären verrückt. Bill Haleys „Rock Around The Clock“ war gerade herausgekommen. Natürlich ging es auch im Rock’n’Roll immer nur um das 12taktige Blues-Schema. Aber das habe ich erst später verstanden. Es ging um die Art, wie es aufgenommen war. Die Rhythmus-Sektion war viel lauter. Damals klang das für mich alles unglaublich pulsierend. Die Alten hörten milde Sachen, Big Bands und Frank Sinatra. Mir war das zu glatt. Unsere Musik, unsere Art zu tanzen schwappte über Europa. Es war wie eine Revolutio n.

Wegen der sie mit 15 die Schule verließen.

Ich habe immer versucht, mir etwas zu beweisen. In meiner Heimat gab es damals eine Menge Sänger und alle staunten: Was? Du gehst nach London? Du willst Schallplatten aufnehmen? Niemand aus dieser Gegend hatte das jemals zuvor getan. Deshalb dachten sie, es sei unmöglich. Ich war 23, als ich nach London ging. England war ein anderes Land. Wir sprachen dieselbe Sprache, aber die Kultur war eine andere. Im Juli 1964 war ich in London, sechs Monate später hatte ich einen Nummer-1-Hit.

Wenn Sie heute noch mal eine Karriere im Show-Business beginnen wollten, wo würden Sie anfangen?

Bei den Talent-Shows im Fernsehen. Es gibt sie überall, sie haben in jedem Land einen anderen Namen. Bei einer Show wie „Pop Idols“ wäre ich in meinem Element. Du gehst zum Vorsingen – und wenn du singen kannst, bist du auf dem Bildschirm. Zu meiner Zeit musste man erstmal an einen Plattenvertrag kommen. Ständig hatte man sich bei irgendwelchen Agenten und Bookern vorzustellen, damit man Arbeit bekam.

Ihr letztes Album, „Mr Jones“, haben Sie mit Wyclef Jean produziert, einem Mann halb so alt wie Sie.

Wenn man Musik macht, spielt das Alter keine Rolle – so lang man die Musik versteht.

Was fühlen Sie, wenn Sie HipHop hören?

Wenn du Wyclef und mich ansiehst - ein junger Schwarzer und ein älterer weißer Mann – sind wir vielleicht äußerlich verschieden. Musikalisch stehen wir nicht so weit auseinander. Ich habe Rhythm & Blues immer gemocht. Der Unterschied entsteht hauptsächlich am Mischpult. Musikalisch ist es noch immer dasselbe. Im Studio gibt es für mich nur die Kabine, den Kopfhörer und das Mikrofon. Nur Rap ist nicht mein Ding: Die Kunst, Reime in dem Augenblick zu erfinden, da man sie singt, beherrsche ich nicht.

Ihr Sohn Mark ist Ihr Manager. Sie vertrauen jüngeren Leuten.

Als ich jung war, traf ich Elvis Presley in Las Vegas. Er war damals schon lange im Geschäft. Ich bewunderte ihn. Heute weiß ich, wie das ist, wenn junge Leute zu mir kommen. Wenn sie mir sagen, dass schon ihre Eltern meine Musik gehört haben, merke ich erst, wie lange ich dabei bin.

Seit 40 Jahren. Hatten Sie einen Schutzengel, der sie vor größeren Fehlern bewahrt hat?

Das Einzige, worauf ich immer aufpassen musste, waren meine Trinkgewohnheiten. Ich nehme gern mal ein Glas. Ich weiß, dass ich kein Alkoholiker bin. Aber nachts, wenn ich eine Show hinter mir habe und noch aufgeregt bin – man geht essen, trinkt Wein, man geht noch in einen Club –, früher habe ich da manchmal die Zeit vergessen. Es wurde vier, fünf Uhr morgens und ich musste fast schon wieder aufstehen. Wenn man am nächsten Tag eine Fernsehshow hat und live singen muss, ist das nicht einfach. Schon vor langer Zeit wurde mir klar, dass ich auf mich aufpassen muss. 1966 hatte ich zum Beispiel einen schweren Autounfall in der Park Lane in London. Sehen Sie hier: Über meiner linken Augenbraue wurde ich mit 14 Stichen genäht. Ich bin übermütig gewesen, kam aus einem Club, sprang ins Auto und Bumm! Ich hätte sterben können. Das hat mich runtergeholt. Wenn man das Glück hat, solche Erschütterungen zu überleben, lernt man daraus.

Drogen haben Sie nie interessiert?

Ich konnte darin keinen Sinn sehen. Ich trinke gern, ich mag den Geschmack von Bier. Das ist normal, wenn man aus Wales kommt. Später habe ich Wein schätzen gelernt. Ich mag gute kubanische Zigarren. Ich habe Dinge kennen gelernt, die ich mag. Aber nicht Dinge, von denen ich abhängig werde. Ich brauche nichts, um mich hochzubringen. Einige Leute im Showgeschäft geraten in Abhängigkeit, weil sie etwas brauchen, um in Fahrt zu kommen. Auf Partys habe ich Menschen alle Arten von Drogen nehmen sehen. Kokain zum Beispiel. Ich kann nichts Anziehendes daran finden, wenn sich jemand mit einem Geldschein in der Nase über den Tisch lehnt. Das sieht einfach schwach aus. Mit Haschisch ist es das Gleiche. Ich habe niemals einen Joint geraucht. Allein der Geruch. Und dann muss man seine Lungen mit Qualm füllen. Ich bin Sänger, ich bringe das nicht fertig.

Die Droge Sex?

Das ist immer noch ein natürliches High.

Gesünder?

Darüber kann man streiten. Aber es ist immer noch etwas Menschliches.

Stimmt es, dass Ihre Frau Melinda auch in wilderen Zeiten keine Probleme mit ihrem Lebenswandel gehabt hat?

Sie wurde niemals damit konfrontiert. Die Leute haben ihr keine Briefe geschrieben: „Wissen Sie eigentlich, was Ihr Mann...“ Die Frage der Treue wurde bei uns kein Problem, weil sie nicht diskutiert wurde. Meine Frau hat nie gesagt: „Mach, was du willst.“ Manchmal kann man Geschichten lesen: „Tom Jones – seine Frau versteht alles ...“ Das ist nicht der Fall. Sie versteht nicht. Sie blendet einfach aus. Sie will nichts davon wissen.

Ihre Frau hat zwei Männer an das Showgeschäft verloren.

Das ist richtig. Aber sie weiß, wie sehr ich es liebe zu singen. Und sie weiß, wie sehr Mark seine Aufgabe liebt. Als er klein war, schlug sie vor: „Warum nimmst du ihn nicht mit auf Tour? Er vermisst dich. Du bist ja immer unterwegs.“ Er fing an, sich um die Beleuchtung zu kümmern. Als mein früherer Manager starb, konnte Mark an dessen Stelle treten, weil er all das kannte, seit er ein Teenager war. Bei normalen Managern weiß man nie genau, was gerade läuft.

Tom Jones ist ein Familienunternehmen?

Ich bin Familienmensch. Das sind meine Wurzeln.

Die „männliche Menopause“ scheint für Sie ein Gerücht von einem anderen Planeten zu sein.

Ich fühle keinen Unterschied. Der Stoffwechsel wird vielleicht etwas langsamer. Früher bin ich Treppen rauf und runter gerannt. Heute gehe ich normal. Meine Enkelin macht sich manchmal über mich lustig, weil ich meine Haare färbe. Sie fragt immer: Musst Du das tun? Und ich sage: Ja, das muss ich tun.

Wie halten Sie sich fit?

Ich trainiere.

Jeden Tag?

An manchen Tagen mehr als an anderen. Ich trainiere nach einem System, das Bodyflex heißt. Man atmet tief ein, bläst dann die gesamte Luft aus seinen Lungen raus und macht die Übungen ohne Luft. Crunches, Kniebeugen, Liegestütze. Mit dieser Methode reichert man Sauerstoff im Blut an. Es dauert ungefähr eine Stunde – vor dem Frühstück. Man muss das auf nüchternen Magen tun.

Robbie Williams ist ihr Nachbar in Hollywoods Nobelviertel Bel Air. Erinnert er Sie an ihre frühen Tage?

Seine Haltung, ja. Er kommt und sagt: Das bin ich, das ist meine Bühne – und er macht wirklich eine hervorragende Show. What You see is what you get. Sein Stil auf der Bühne ist nicht ganz der meine. Aber er hat die richtige Einstellung. Es gibt Rockmusiker, die Show-Elemente um jeden Preis vermeiden wollen. Sie wollen dir nur Musik vorspielen. Sehr ernsthaft. Ich werde nur ernst, wenn der Song ernst ist.

Die Beatles sangen „When I’m Sixty-four“ – das ist nicht mehr sehr weit für Sie. Was machen Sie mit 64?

Paul McCartney sagte selbst, als er den Song geschrieben habe, hätte er niemals gedacht, so alt zu werden. Wenn man jung ist, kann man sich das nicht vorstellen: ein alter Mann zu sein. So lange man gesund ist, fühlt man sich nicht alt, jedenfalls nicht so alt, wie man dachte, dass man sich fühlen würde, als man jung war. Wenn man 60 wird und sich andere 60-Jährige ansieht, denkt man: Das sind alte Menschen. Aber mir geht es gut. Junge Frauen sehen mich nicht an, wie sie Robbie Williams ansehen. Doch sie schätzen noch immer, was ich mache; meine Stimme, meine Kraft. Die Bewunderung ist eine andere geworden. Immer noch sehr lebendig und immer noch mit einem gewissen Sex- Appeal. Aber nicht mehr so animalisch. Es geht nicht mehr um mich, 24 Jahre alt, in engen Hosen. Es geht um Respekt.

Das Gespräch führte Ralph Geisenhanslüke.

Tom Jones tritt am 2. Juni im Velodrom (Arena) auf, 20 Uhr.

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