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Kultur: Im Netz der Selbstdarstellung

„Das 2. Sein“: Karlsruhe feiert den früh verstorbenen Martin Kippenberger mit einer großen Retrospektive

Kippenberger ist Mythos. Unerreicht seine Schaffenswut, unerbittlich die Stilisierungen seiner selbst in Werken, Worten und Taten. In männerbündlerischen Seancen mit den Kollegen Büttner, Oehlen und Herold wusste er ebenso kreativ seine Netze zu spinnen wie in den Kreisen seiner Sammler und Galeristen. Damals im Jahre 1978, als es für den gebürtigen Dortmunder in Berlin erst eigentlich begann, feierte er bereits ein Vierteljahrhundert Kippenberger „als einer von Euch, unter Euch, mit Euch“. Überhaupt seien Geburtstage für ihn zunehmend bedeutungsvoller geworden. „Nicht auszumalen“, so Albert Oehlen, „was er uns an seinem 50. Geburtstag zugemutet hätte.“

Fünfzig wäre Martin Kippenberger am 25. Februar diesen Jahres geworden – und hätte ihn nicht vor sechs Jahren „ein verständnisloses Organ viel zu früh von uns genommen“ (Büttner), so wäre er sicher glücklich gewesen über die Aufmerksamkeit, die ihm in diesem Jahr entgegengebracht wird. Das Netzwerk jedenfalls funktioniert nach wie vor prächtig. Bärbel Grässlin wird demnächst in ihrer Galerie die weißen Bilder zeigen, Carola Grässlin die Multiples im Kunstverein Braunschweig. Das Museum für Neue Kunst/ZKM Karlsruhe, in dem die Sammlung Grässlin logiert, zeigt die fällige Retrospektive, während Museumsdirektor Adriani für April eine Ausstellung der Zeichnungen in der Kunsthalle Tübingen ankündigt.

Dass das Kippenberger-Jahr ausgerechnet in Karlsruhe beginnt, ist nicht unbedingt naheliegend. Zumindest lässt die Ausstellung keinerlei Heimspielbonus zu – und den Mythos ein Stück weit zu Hause. Eine Auswahl von fast sechshundert Werken aus etwas mehr als 25 Jahren hat Kurator Ralph Melcher zusammengestellt. Mit Lücken zwar, aber ganz ohne Wehmut, ohne Nostalgie. Und ohne das Fangnetz überlieferter Anekdoten und erträumter Erfolgsgeschichten, dessen sich die künstlerischen Höhenflüge Martin Kippenbergers stets sicher sein konnten.

„Das 2. Sein“ – so der Titel der Schau – suggeriert ein Dasein als Künstler, das sich vom Menschen nicht ablösen lässt, das sich zwar dialektisch zwischen Leben und Werk hindurchschlängelt, ohne sich wirklich auf eine Synthese – oder billige Kompromisse – einzulassen. „Das 2. Sein“ hält jedoch noch eine andere Dialektik bereit, die zwischen Authentizität und ironischer Distanz. „Meine Lügen sind ehrlich“ pinselte Kippenberger auf eine Leinwand, und ebenso kompromisslos malte, zeichnete, fotografierte und soff er diese Haltung durch und malte und diskutierte und collagierte aus Fotografien und Texten Bücher oder Plakate.

Die sechsundfünfzig Grisaillen „Uno di voi, un tedesco in Firenze“, die Kippenberger 1976 während eines Aufenthalts in Florenz malte, bilden einen chronologischen Auftakt. Gestapelt, sollten sie die Körpergröße des Künstlers erreichen (was nicht gelang) , dicht gehängt füllen sie nun fast zwanzig Quadratmeter Wandfläche. Schräg gegenüber sind die unzähligen Plakate aufgereiht, die Kippenberger über Jahrzehnte drucken ließ. Um die Ecke hängt ein Block jener „Laternenfotos“, die der Künstler seit Ende der achtziger Jahre an Freunde und Weggefährten delegierte. Nebenan liegen auf Sockeln angesägte Europaletten – des Künstlers „Entwürfe für die Müttergenesungswerke in Paderborn und Gütersloh“ (1985).

Dass der Gang durch die Retrospektive Martin Kippenbergers keinen bruchlosen Werdegang nachzeichnet, erweist sich angesichts der unbändigen künstlerischen Produktion als durchaus geglückt – auch wenn die großartigen „Preisbilder“ fehlen und nirgendwo der düpierte Martin in der Ecke steht und sich schämt. Statt dessen legt die Ausstellung Fährten, tippt Bruchstücke einer Erinnerung an, um sie sofort wieder in andere Richtungen abzuleiten.

Wer sich etwa in der Serie großformatiger Leinwände, die Kippenberger 1981 von einem patenten Plakatmaler anfertigen ließ („Lieber Maler, male mir“), auf der richtigen Fährte wähnt, wird in den „Hand-Painted Pictures“ unsanft zurückgepfiffen; wird weitergereicht an die malerischen Köstlichkeiten der „Eierbilder“ (1996) und hinüber zu den Portraits von Jacqueline Picasso, die der gute Pablo nach seinem Tode nicht mehr malen konnte.

Dass sich Martin Kippenberger als Verwerter des Alltags und Verwalter eines künstlerischen Erbes gerierte, wird an den multiplen Fremd- und Selbstreferenzen deutlich, die der Künstler beharrlich fraß, verdaute und sauer wieder aufstieß. Natürlich war das nicht immer neu und manchmal auch epigonal. Ganz deutlich aber äußert sich darin ein ebenso gestalterischer wie politischer Souverän, dem gegenüber sich selbst der „kapitalistische Realismus“ der frühen Polkes und Richters weit weniger treffsicher ausnimmt.

Das, was Polke für die siebziger Jahre gewesen sei, sei er für die achtziger, so hatte Kippenberger ganz unbescheiden verlauten lassen. Gerade seine Aktivitäten in den neunziger Jahren zeigen indes, dass er mehr war. Im „Spiderman-Atelier“ (1996) sitzt der Künstler in seinem engen Atelier – ein Fenster geöffnet, durch das er, wann immer es nötig erscheint, weitere Netze spinnen würde. Von dort aus plant er das „Museum of Modern Art Syros“, das zum neuen Zentrum künstlerischen Drahtziehens werden sollte. Und er spintisiert über die Röhren eines weltumspannenden „Metro-Net“, dessen gewaltige Eingänge und Lüftungsschächte er noch realisieren konnte.

Auf diesem Wege führte Martin Kippenberger das Selbstverständnis von Kunst und Künstler hinein in die neunziger Jahre: dorthin, wo der Schöpfer zum Dienstleister, der Mensch zum Medium, der Künstler zum Kurator, Publizisten und Netzwerker wird – ohne dabei die Kunst, sich selbst und den eigenen Mythos allzu wichtig zu nehmen.

Museum für Neue Kunst Karlsruhe, bis 27.4., Katalog (DuMont) im Museum 29 Euro .

Ralf Christofori

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