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Kultur: Im Spiegelland

Douglas Gordon entlarvt die Eitelkeit der Kunst im Guggenheim Berlin

Dorian Gray schließt in Oscar Wildes berühmten Roman einen Teufelspakt. Sein Porträt altert an seiner Stelle und zeigt die Spuren seines ausschweifenden Lebens, er selbst gewinnt dafür ewige Jugend. Das faltige, verlebte Abbild, gut versteckt auf dem Dachboden, vernichtet er irgendwann – und damit auch sich selbst.

Der schottische Künstler Douglas Gordon wählt den umgekehrten Weg. Er hat von sich eine täuschend ähnliche Wachsfigur anfertigen lassen. Jedes Jahr posiert er neben ihr und lässt sich fotografieren. Der Künstler altert, die Figur nie. Obwohl, so ganz stimmt das nicht: Wachs ist ein empfindlicher Stoff, kann schmelzen, biegen, brechen, also auch altern. In der Ausstellung in der Deutschen Guggenheim Berlin kündet ein Wachsmodell der Künstlerhände davon, dem ein Finger abgebrochen ist. Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.

Vergänglichkeit, Alter, Tod: Das sind die Grundthemen der Vanitas-Allegorie. Ihr Arsenal an Bildmotiven besteht aus Spiegeln, Totenköpfen, toten Tieren, faulenden Früchten, Masken und Blumen. Eitelkeit, Schönheit und Sterben, das lässt sich wenden wie ein Vexierspiegel. Es ist ein schier unendlicher Assoziationsraum, den Douglas Gordon in seiner speziell für Berlin konzipierten KabinettAusstellung „The Vanity of Allegory“ aufreißt. Quer durch die Kunstgeschichte, quer auch durch die Filmgeschichte, die dem 1966 geborenen schottischen Verwandlungskünstler mindestens ebenso am Herzen liegt. 24 Filme werden im Rahmen der Ausstellung gezeigt, in einem in den Galerieraum hineingebauten Kleinkino. Das Spektrum reicht von Hitchcock bis Pasolini, von „Peter Pan“ bis „Schneewittchen“, von „Taxi Driver“ bis „Apokalypse Now“.

Am Anfang stand eine Begegnung in der Eremitage in St. Petersburg: Peruginos berühmtes Bild des Heiligen Sebastian. Auf dem Pfeil, der den Hals des Heiligen durchbohrt, hat der Künstler seine Signatur hinterlassen: Petrus Perusinus pinxit. Ein abstoßendes Detail, findet Douglas Gordon, und ein Symbol der Eitelkeit des Künstlers. Der Kerngedanke der Berliner Ausstellung: Es soll um Selbstbildnisse gehen, um Künstlereitelkeit, Maskerade und Rollenspiel.

Das Thema ist in der Tat nicht neu: Albrecht Dürer malte sich in der Pose des Christus, Raffael posierte unter den Gelehrten der Akademie von Athen, Caravaggio porträtierte sich im abgeschlagenen Kopf des Johannes. Auch Perugino, vermutet Douglas Gordon, hat sich in seinem Sebastian selbst verewigt. Und mit dem Pfeil durchbohrt, penetriert, getötet.

Das 20. Jahrhundert sexualisiert den Vanitas-Gedanken. Gordon zeigt in Berlin Fotos, auf denen Andy Warhol und Marcel Duchamp mit blonder Perücke als Drag-Queens posieren. Robert Mapplethorpe fotografiert sich selbst mit einem Totenkopf-Stab in der Hand. Matthew Barney turnt als doppelter Faun durchs Bild, und Jeff Koons spiegelt sich in einer Silberbüste von Ludwig XIV. Douglas Gordon greift in seinen eigenen Werken all diese Fährten auf, verbindet seine Ahnenväter, wenn er, mit verrutschter blonder Perücke, auf einem Bild gleichzeitig als Kurt Cobain, Andy Warhol, Myra Hindley und Marilyn Monroe posiert. Oder als „Vorschlag für ein posthumes Porträt“ einen Totenschädel so geschickt in eine Spiegelkonstruktion stellt, dass dieser viermal zu sehen ist. Der Künstler liebt das Rollenspiel: „Es hat besonders Spaß gemacht, mich als Frau zu verkleiden, meine Eltern hätten das gehasst“, kokettiert er im Gespräch.

Die Sache ist dann aber doch etwas komplexer. Sicherlich ist die Vanitas-Assoziation naheliegend bei Gordon, der wie kaum ein anderer Künstler mit der eigenen Biografie spielt, pseudo-autobiografische Aufsätze mit Kindheitserlebnissen veröffentlicht, die von einem vermeintlichen Freund oder Bruder geschrieben sein sollen, sich in einer Installation mit seinen neun Monaten im Mutterleib beschäftigt. Doch in dem Moment, in dem er die gesamte von ihm kuratierte Ausstellung zu seinem Kunstwerk erklärt, werfen die Spiegel plötzlich andere Bilder zurück. Nicht ich bin der Spiegel, der Bilder vergangener Zeiten reflektiert, sondern alles andere spiegelt mich. Eine höhere Form von Eitelkeit.

Ein Beispiel: Peruginos „Hl. Sebastian“ hat die Petersburger Eremitage nicht nach Berlin ausgeliehen. Also hat Gordon eine Digitalkopie anfertigen lassen und gerahmt an die Wand gehängt. Titel: „Post in advance of Vannucci, in advance of Perugino“, Künstler: Douglas Gordon. Original oder Kopie, Ich oder Spiegelbild, Mensch oder Doppelgänger: Die Ausstellung lebt vom unendlichen Spiel der Rückverweise. Schon räumlich ist das angedeutet, indem die vielfach verspiegelte Architektur beim Besucher einen Schwindel erzeugt. Die Werke selbst sind dabei nur noch das Türchen ins Zauberland. Von dort hat auch Alice schwer zurückgefunden.

Douglas Gordon, The Vanity of Allegory, Deutsche Guggenheim Berlin, bis 9. Oktober., täglich 11 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, montags Eintritt frei. Katalog (Künstlerbuch) 34 Euro.

Christina Tilmann

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