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Die Installation „Stronger than memory and weaker than dewdrops“ von Karolina Markiewicz und Pascal Piron im Casino Luxemburg.

© Casino Luxemburg

Luxemburg leistet sich Kunst: Im Traumtunnel

Luxemburg etabliert sich als europäischer Hotspot mit einer internationalen Kunstmesse.

Ein Gitterkäfig aus weiß bemaltem Stahl. Im seinem Inneren steht eine Bank. Hier, so stellten es sich die Designer von Amazon vor, würde ein Arbeiter sitzen, durch die vollautomatisierten Warenhallen fahren und rundum überwacht im Fließbandrhythmus Konsumgüter verpacken. Zum Glück wurde die Folterkammer des weltweit größten Online-Versandhändlers und Logistikunternehmens nicht realisiert, sondern nur patentiert. Der neuseeländische, in Berlin lebende Künstler Simon Denny baute sie nun als Skulptur für die Ausstellung „Post-Capital: Kunst und Ökonomie im digitalen Zeitalter" in Luxemburgs Museum für zeitgenössische Kunst, dem Mudam.

Denny, der mit seinen Arbeiten die Ästhetik digitaler Technologien rekonstruiert und die Machtansprüche global agierender IT-Konzerne mit dem Ziel totaler Datenkontrolle visualisiert, entschlüsselt mit seinem Werk – das auch eine Referenz an Andy Warhols Siebdruckserie „Electric Chair“ von 1963 und ebenso an die Psycho-Käfige von Louise Bourgeois ist – nicht nur dehumanisierende Konditionierung als Folge von digitalem Totalitarismus. Er thematisiert auch die skrupellos forstschreitende Zerstörung der Natur. Denn wer einen QR-Code benutzt, erlebt die Skulptur in Augmented Reality. Plötzlich flattern Vögel im Käfig, Avatare des vom Aussterben bedrohten australischen King Island Brown Thornbill und des Seggenrohrsängers. Wie sie Opfer der Bergbauindustrie sind, die schürfend die natürliche Umgebung dieser Arten zerstört, so atomisiert Datenmining menschliche Empathie, und die energieintensive digitale Ökonomie entkräftet den Planeten.

Eindrucksvoll wie diese Arbeit ist die gesamte Ausstellung. Vielleicht noch etwas mehr beeindruckt, dass sie in einem Museum eines kleinen Landes, dem Großherzogtum Luxemburg, stattfindet. Doch am beeindruckendsten ist, dass dieser rund 640 000 Einwohner zählende Stadtstaat während der diesjährigen Messe der „Luxembourg Art Week" im November einen Kunstparcours der Extraklasse präsentierte, wie ihn manche Metropole nicht zustande bringt. „Hier ist man auf der Höhe des globalen Kunstdiskurses“, bestätigt die fürs Mudam designierte Direktorin Bettina Steinbrügge. Noch leitet sie den Hamburger Kunstverein, davor war Steinbrügge unter anderem am Belvedere in Wien für die Sammlung aktueller Kunst zuständig, im April kommenden Jahres übernimmt sie das Museum auf dem Kirchberg.
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„Dass in Luxemburg 156 Nationen leben und es im Herzen Europas liegt,“ macht Steinbrügge als einen Grund für die Gegenwärtigkeit der Region aus. An Frankreich, Belgien und Deutschland angrenzend, mit den Niederlanden und Belgien die Benelux-Staaten bildend und mit dem Saarland, Lothringen, der wallonischen Region und Rheinland-Pfalz zur Grande Region, der Großregion Sar-Lor-Lux aus etwa 11,5 Millionen Bewohnern gehörend, ist Luxemburg an Mehrsprachigkeit und grenzüberschreitender Mobilität in Europa kaum zu übertreffen. Steinbrügge findet es bemerkenswert, dass im Banken- und Geschäftsviertel Kirchberg, in dem sich Ieoh Ming Peis Mudam befindet, „so viele europäische Institutionen ihren Sitz haben. Die wichtigsten künstlerischen Positionen der Gegenwart beschäftigen sich mit politischen, sozialökonomischen und ökologischen Themen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Konstellation für einige Künstler eine spannende Herausforderung ist".

Selbst das teuerste Werk auf der Messe ist verkauft

„Offen und neugierig, multikulturell und kosmopolitisch“, beschreibt Alex Reding, Galerist und Gründer der Luxembourg Art Week, die Haltung der in Luxemburg Ansässigen Kunst und Kultur gegenüber. Auch die siebte Ausgabe der Messe, die mit 80 Händlern vor allem aus Luxemburg, Paris und Brüssel sowie zwölf Galerien aus Deutschland in einem 5000 Quadratmeter großen Zelt im Zentrum residierte, verbucht er als Erfolg. Es gab gute Verkäufe, die meisten davon in einem Spektrum zwischen 4000 bis 80 000 Euro. Auch das wohl teuerste Werk der Messe, ein abstrakt florales Gemälde des ungarisch-französischen Künstlers Simon Hantai – den auch Larry Gagosian vertritt – konnte der Luxemburger Galerist Frédéric Hessler weitergeben. Für immerhin 650 000 Euro.

„Es kommen immer internationalere Sammler hierher“, beobachtet Hessler, „und das Niveau der Galeristen wie Händler steigt“. Mit Eva Meyer, der New Yorker Galerie Lelong & Co, Praz-Delavallade, Jarmuschek + Partner aus Berlin, den Gebr. Lehmann und Nosbaum Reding, der in Luxemburg beheimateten Galerie von Alex Reding, sind renommierte Namen vertreten, doch gibt es durchaus weiteren Bedarf an etablierten Händlern.

Am Preview-Tag waren sie alle da, Mitglieder der großherzoglichen Familie ebenso wie Kuratoren, Museumsdirektoren, Künstler und Sammler. So diskutierte Su-mei Tse, in Luxembourg geborene Musikerin und Multimediakünstlerin mit chinesisch-britischen Wurzeln, die 2003 den Goldenen Löwen der Venedig Biennale gewann, mit der französischen Malerin Fabienne Verdier über chinesische Tuschetechniken. Verdier hat ostasiatische Malerei und Ästhetik in Sichuan studiert. Sammler Jérôme Wigny, Partner der Anwaltskanzlei Elvinger Hoss Prussen, der nicht nur sein Privathaus, sondern auch das gesamte Firmengebäude mit Werken von Hermann Nitsch bis Luc Tuymans bestückt hat, findet, es sei „Ehrensache, zur Vernissage zu kommen“. Er kauft auch junge luxemburgische Künstler – genau wie das Sammlerpaar Diane und Marc Gubbini. Seit über 30 Jahren sammelt es unter anderem „Werke von Pierre Soulages, Donald Judd, Marlene Dumas, Avery Singer oder Karolina Markiewicz & Pascal Piron“.

Das luxemburgische Künstlerpaar präsentiert aktuell die Ausstellung „Stronger than memory and weaker than dewdrops“ im Casino Luxembourg, einer Art Kunsthalle mit einem jährlichen Budget des Kulturministeriums von sechs Millionen Euro und einem hervorragenden Programm. „If I were another“, ein Vers des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish, führt wie ein roter Faden durch die multimediale Schau über Identität und Entfremdung, Realität und Mythos, Politik und Poesie. Und in der Nachbarstadt Esch-sur-Alzette, im nächsten Jahr zusammen mit Kaunas in Litauen und dem serbischen Novi Sad europäische Kulturhauptstadt, findet in der neuen Kunsthalle Konschthal Esch eine weitere grandiose Ausstellung statt: „Ego-Tunnel“, von Gregor Schneider. Direktor Christian Mosar hat 2400 Quadratmeter auf vier Etagen bis auf Betonwände und Stahlträger entkernt.

Schneider inszeniert eine immersive Installation aus 20 Angsttraum-Räumen, die wie eine Visualisierung von Hannah Arendts Formel der „Banalität des Bösen“ wirkt.  „Seit 20 Jahren bemühen wir uns, Luxemburg zu einem europäisch-globalen Hotspot zu machen“, resümiert Kulturministerin Sam Tanson. „Nun sind wir diesem Ziel einen großen Schritt nähergekommen.“

55 Millionen Euro beträgt das Budget für Esch im Kulturhauptstadtjahr, 160 Projekte mit mehr als 2000 Events sind geplant. „Remix Culture“ lautet das Motto: „Es geht darum, das Bewusstsein zu stärken, dass wir in einem gemeinsamen europäischen Kulturraum leben“, sagt Tanson. Nie war dies wichtiger.

Eva Karcher

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