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Köln feiert Fotograf August Sander: Individuum und Typus

Porträt einer Epoche: Zu seinem 50. Todestag feiert die Stiftung Kultur in Köln den wohl berühmtesten deutschen Fotografen August Sander.

Heute sind sie weltberühmt, auch wenn kaum einer ihre Namen kennt: die drei „Jungbauern“ mit Stock und Hut, die stolz in ihren Sonntagsanzügen am Wegesrand für den Fotografen einen Moment lang stillstehen, oder der korpulente Konditormeister, der vor einer mächtigen Rührschüssel steht. Bei den Jungbauern handelt es sich allerdings, wie vor kurzem bekannt wurde, um Bergleute. Die angeblichen Landwirte und der dicke Konditor stammen aus August Sanders Mappenwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Als der US-Fotograf Edward Steichen die Bilder Anfang der Fünfziger bei seinem Trip nach Köln auf der Fotokina entdeckte, erwarb er das Konvolut sofort für das Museum of Modern Art.

Nur wenig später erhielt Sander seine erste Ausstellung im MoMA in New York, besucht hat sie der schon 77-Jährige nicht. Doch sein Werk trat einen internationalen Siegeszug an: keine Fotogeschichte, die seitdem nicht die Verdienste des deutschen Fotopioniers würdigen würde. Im Werk von Bernd und Hilla Becher, die ihn noch im Westerwald besuchten, in den Arbeiten ihrer Schüler lebt sein Erbe fort. Das respektvolle Porträtieren eines Menschen, der Versuch einer typologischen Erfassung findet sich sowohl in den Gebäudeserien der Bechers wieder als auch in den meisterlichen Interieurs Candida Höfers.

Doch wie kam August Sander auf seine Motive, wie arbeitete er? Die Photographische Sammlung der Stiftung Kultur in Köln hat sich die Beantwortung dieser Fragen verschrieben, seit sie den Nachlass Anfang der Neunziger von der Familie erwarb und aus aller Welt weitere Arbeiten zu kaufen sucht, um die Fäden dort wieder zusammenzuziehen, wo Sander seit 1910 über dreißig Jahre mit seiner Familie lebte und arbeitete. Vieles ging nach dem Tod des Künstlers im Jahr 1964 ans Getty Museum in Los Angeles, ans MoMA oder nach Kanada, das Interesse des Kunsthandels in den Vereinigten Staaten war schnell erwacht.

Kölner Stiftung Kultur versucht eine Bestandsaufnahme

Anlässlich des 50. Todestages des wohl berühmtesten deutschen Fotografen versucht die Kölner Stiftung Kultur eine Bestandsaufnahme. Sie breitet zwar nicht alles aus, was sie hat. Das wäre allein bei 105 000 Negativen und 6000 Originalen viel zu viel, doch sie fächert Sanders fotografischen Ansatz auf, der nicht nur als Porträtist großartig war, sondern auch ein bedeutender Landschafts-, Architektur-, Städte-, Pflanzenfotograf ist. Bis ins hohe Alter, über sechzig Jahre lang, arbeitete Sander mit der Kamera.

In der 300 originale Exponate umfassenden Ausstellung stößt man auf die drei Jungbauern recht bald. Der Künstler machte seine Aufnahme 1919 im Westerwald, vermutlich unweit seines Heimatdorfes. Ob es sich um ein Auftragswerk handelt oder Sander das Trio bat, Modell zu stehen, ist heute nicht mehr zu erfahren. Das gilt auch für den prachtvollen Konditor, einen Kölner Nachbarn Sanders, wie inzwischen herausgefunden wurde. Das Bild entstand neun Jahre später, Sander unterhielt damals in Köln-Lindenthal seine „Lichtbildwerkstatt“, von der Mobiliar, Plattenkameras, Stative und ein hölzerner Entwickler ebenfalls ausgestellt sind.

In seinem Mappenwerk fügte Sander Porträts aus den unterschiedlichsten Arbeitsphasen zu Gruppierungen zusammen: alte Auftragswerke, neue eigene Aufnahmen. Wenn es sein musste, sprach er seine Modelle auch auf der Straße: „Sie fehlen mir als Typus.“ Sander arbeitete kreativ mit seinem Fundus, dessen Negative bis ins Jahr 1892 zurückreichen. Weil er sich stilistisch über Jahrzehnte treu blieb, besitzt sein selbst gestellter Großauftrag eine so große Kohärenz.

Zwischen Individuum und Typus

Durch sein verbindliches Wesen, das auch aus der Korrespondenz spricht, nahm der Fotograf sein Gegenüber für sich ein, stiftete er Vertrauen. Sander wollte nicht nur Momentaufnahmen schaffen, er suchte Biografien zu erfassen. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Individuum und Typus besteht bis heute fort. Noch immer versuchen wir, in den Porträts mehr zu lesen, wenn unter der Aufnahme einer strengen Blondine mit kinnlangem Haar „Frau eines Architekten“ steht oder ein „Handlanger“ mit Schiebermütze voll stolzem Ingrimm eine Lage Backsteine auf seinen Schultern trägt.

Das Wesen seiner Kunst nannte Sander selbst „exakte Fotografie“ im Gegensatz zum eher malerischen Ansatz. Er wollte die Welt mit der Kamera so genau wie möglich erfassen. Sein enzyklopädischer Ansatz macht noch immer staunen, das Arbeitspensum muss enorm gewesen sein. Allein der Titel seines Mappenwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ lässt ahnen, was er sich eigentlich vorgenommen hatte. Die Bilder von Köln vor dem Krieg, die Landschaftsaufnahmen von Eifel, Mittelrhein, Sauerland und Westerwald dienen heute als wichtige Dokumente. In ihrer Präzision sind sie überwältigend, in ihrer physiognomischen Dimension kaum zu fassen. Wenn Sander in den Wald ging, um das Licht, die Bäume zu fotografieren, einzelne Pflanzen aufzunehmen, so blieb er auch hier Porträtist.

1953 verkaufte Sander der Stadt Köln seine insgesamt 16 Mappen mit 460 Bildern samt Negativen unter dem Titel „Köln, wie es war“. Sander verstand sich als Kulturarchivar, der auch die Ruinen seiner Stadt dokumentierte. Eine eigene Mappe widmet sich den Zerstörungen. „Das Grauen erfasst einen, wenn man auf dem Dom steht und sieht sich die Stadt an“, schrieb Sander 1947 in einem Brief. Die Forschungsarbeit der Photographischen Sammlung der Stiftung Kultur ist auch als ein Versuch zu verstehen, Teile des Vergangenen zurückzugewinnen, zumindest dessen Bilder.

Stiftung Kultur, Köln, bis 3. August. Details: sk-kultur.de

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