
© Imago/Photothek/Janine Schmitz
Innen zerstritten, von außen bedroht: Max Czollek und Hadija Haruna-Oelker betrauern das Ende der postmigrantischen Linken
In „Alles auf Anfang“ sucht das Podcast-Duo von „Trauer und Turnschuh“ in einem sich verdunkelnden politischen Raum nach Licht. Czollek und Haruna-Oelker stellen drängende Fragen – die man aber länger suchen muss.
Stand:
In den 2010er-Jahren war kaum ein Adjektiv und Label in der politkulturellen Sphäre so wirkmächtig und beliebt wie das Wort „postmigrantisch“. Es löste in gewisser Weise „multi-kulti“ ab, war dabei aber weitaus politischer gemeint.
Während „multi-kulti“ die Vielzahl an mehr oder weniger in Kontakt stehenden Kulturen in Deutschland bezeichnete, wies das Wörtchen „postmigrantisch“ darauf hin, dass dieses Deutschland, dieses Land der Deutschen, gar nicht mehr existierte. Längst sei es von zahllosen kulturellen Einflüssen ergänzt, überformt und – ja – verbessert, verschönert, bereichert worden.
Die postmigrantische deutsche Gesellschaft, das war, mit den Wortführern dieser Entwicklung gesprochen, ein Werk, an dem viele Menschen mitgearbeitet hatten, von denen jedoch die meisten vergessen wurden. Und so war es stets ein Hauptanliegen, postmigrantischer Politik wie Kultur, jene bislang übersehenen Geschichten ans Licht zu holen und all die übersehenen Menschen auf die Bühne zu bitten.
Als Leuchtturm dieses Programms galt lange das Berliner Maxim-Gorki-Theater unter der Intendanz Shermin Langhoffs, wo sich – in der besten Theatertradition – im Austausch zwischen Bühne und Publikum eine neue Bürgerlichkeit formierte und das Deutschsein von Einwanderern der ersten bis vierten Generation ganz neu erfunden wurde.
Produktiv und provokant
Im Umfeld des Hauses war auch der jüdische Lyriker und Essayist Max Czollek aktiv, der in diesem Jahrzehnt, in dem die Bundesrepublik einzusehen schien, dass sie ein Einwanderungsland ist (und das sogar okay zu finden begann), regelmäßig mit forschen Thesen hervortrat und Begriffe zu prägen versuchte.
Seine Bücher mit Titeln wie „Desintegriert euch!“ oder „Gegenwartsbewältigung“ sorgten für eine hinreichende Unbequemlichkeit, die Debatten um Migration, Minderheiten, deutsche Schuld, vor allem aber um deutsches Gedenken (oder das „Versöhnungstheater“, wie Czollek es nennt), auf so produktive wie provokante Weise herauszufordern.
Nun hat Czollek mit der Autorin und Radiojournalistin Hadija Haruna-Oelker ein Buch geschrieben, das dieser Zeit sehnsüchtig nachtrauert. Denn die beiden sind sich sicher: Das postmigrantische Jahrzehnt ist vorbei und seine Errungenschaften sind ernsthaft in Gefahr.
Dieses Ende begründen sie mit zwei Kennwerten: erstens dem international wie national merklichen Rechtsruck und zweitens den unversöhnlich geführten Konflikten innerhalb postmigrantischer und linker Communitys in Folge des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023.
Von außen bedroht und innen zerstritten zeigt sich die postmigrantische Linke also im Herbst 2025. Wie wäre ihr wieder Leben einzuhauchen? Wie kommt man heraus aus der Misere? Wer darauf eine politstrategische Antwort erwartet, der wird von Czollek und Haruna-Oelker enttäuscht. „Alles auf Anfang“ ist vielmehr eine Selbstvergewisserung, das vorsichtige Tasten in einem politischen Raum, der sich plötzlich verdunkelt hat.
Wechselnde Monologe
Ein bisschen ist es aber auch simplerweise das Buch zum Podcast namens „Trauer und Turnschuh“, den die beiden zusammen betreiben. Es folgt der Struktur wechselnder Monologe, die beiden schreiben abwechselnd Textabschnitte und reagieren mehr oder weniger stringent aufeinander.
Der Vorteil dieser Form für die Autoren – jeder kann schön für sich am eigenen Schreibtisch arbeiten – ist der Nachteil für die Leserschaft, die sich durch schlecht geordnete Gedanken, linke Kulturkampf-Argumentationen, Redundanzen und Privatismen kämpfen muss, um endlich an jene Stellen zu gelangen, die tatsächlich etwas über die politischen Realitäten erzählen.
Da berichtet die Schwarze Hadija Haruna-Oelker, wie sie in einem Regionalzug von Neonazis belästigt wurde, wie sie sich nach dem Aussteigen ängstlich umblickte und eine Panikattacke erlitt.
Da erzählt Max Czollek von der schrecklichen Erkenntnis, die ihn mit Beginn des russischen Angriffs auf die ganze Ukraine ergriff: „dass meine Familie umsonst vernichtet worden war“. Bis zu diesem Tag hatte er geglaubt, dass die Ermordung eines Teils seiner Familie durch die Nazis dazu geführt hätte, dass Europa seine Lektion gelernt hätte. Nun aber stand er vor dem Nichts.
Beide Empfindungen, die Angst einer Schwarzen Frau an einem Bahnhof und die tiefe Trauer eines jüdischen Mannes, sind Teil der politischen Gegenwart Deutschlands. Unter einer Menge halber Thesen, aufgewärmter Debatten und Überlegungen nah am Politkitsch sind es diese zwei Szenen, die man dem Buch entnehmen sollte und zu denen man sich selbst in Bezug setzen kann.
Was könnte eine passende Entgegnung sein auf die Gefühle dieser Frau, dieses Mannes? Antworten auf diese Frage werden dringend gesucht.
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