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Hermann Parzinger, Chef der Preußenstiftung (li.), und Hartmut Dorgerloh, Generalintendant vom Humboldt Forum.

© Thilo Rückeis

Interview zum Humboldt Forum: „Das Humboldt Forum ist Katalysator für brennende Themen"

In einem Jahr geht es los im Humboldt Forum: Generalintendant Hartmut Dorgerloh und Preußenstiftungs-Präsident Hermann Parzinger über die Pläne fürs Schloss.

Das Humboldt Forum im Schloss versteht sich als „neues kulturelles Stadtquartier“ in Mitte und soll am 14. September 2019, zum 250. Geburtstag Alexander von Humboldts, erstmals in Teilen zugänglich sein. Ab Ende 2019 wird dann in Etappen eröffnet, bis Herbst 2021.

Hartmut Dorgerloh, 56, ist seit 1. Juni Generalintendant des Humboldt Forums. Zuvor war er Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam. Hermann Parzinger, 59, ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und oberster Dienstherr der Staatlichen Museen.

Herr Dorgerloh, Herr Parzinger, Unter den Linden steht jetzt ein wiederaufgebautes Schloss mit historischen Fassaden. So lange wurde darüber gestritten. Viele hätten eine zeitgenössische Architektur bevorzugt. Wie gefällt Ihnen der Anblick?

HERMANN PARZINGER: Das Humboldt Forum im neuen Berliner Schloss nimmt Formen an. Es bleibt noch viel zu tun, aber wir sind im Plan. Wenn ich an der Baustelle vorbeikomme, denke ich: Spätestens Ende nächsten Jahres werden die Menschen eine Vorstellung davon bekommen, welches Zentrum der Kunst und Kultur, Wissenschaft und Bildung hier in der Mitte Berlins entstanden ist. Darauf kann man sich freuen.

HARTMUT DORGERLOH: Zurzeit fallen die Gerüste, die Humboldt-Box verschwindet bald, und spätestens dann wird man sehen, wie sehr der Neubau des Humboldt Forums die gesamte städtebauliche Situation beeinflusst und neu definiert. Baustellen allerdings wird es in dieser Gegend noch lange geben, denken Sie nur an die U-Bahn oder das Einheitsdenkmal. Auch an der Breiten Straße soll gebaut werden, und dann wird ja auch noch die Bauakademie rekonstruiert.

Wie sieht es genau aus in einem Jahr? Können wir im Oktober 2019 ins Humboldt Forum gehen?

DORGERLOH: Ja. Bereits am 14. September 2019 werden Berlinerinnen und Berliner im Humboldt Forum den 250. Geburtstag Alexander von Humboldts feiern können. Danach werden sie das Gebäude wiederholt zu verschiedenen Gelegenheiten kennenlernen können. Ab Ende 2019 beginnt dann die etappenweise Eröffnung und damit der Start des Regelbetriebs.

Sie schließen einen Bauverzug aus?

DORGERLOH: Es wird eng, und in der Schlusskurve müssen noch einmal alle Kräfte mobilisiert werden. Denn die Baukonjunktur brummt, die Firmen stehen nicht Schlange, im Gegenteil.

PARZINGER: Wir sind in diesem Sommer sehr gut vorangekommen. Alle Großobjekte aus Dahlem sind jetzt im Humboldt Forum: die eindrucksvollen Häuser und Boote aus der Südsee, die wunderbaren buddhistischen Wandmalereien aus den Höhlen von der Seidenstraße und vieles mehr. Alles ist noch verpackt, denn in den Räumen wird weiterhin gebaut. Erst im Frühjahr 2019 wird ausgepackt, denn die Bauarbeiten müssen abgeschlossen sein und die Klimaverhältnisse stimmen. Erfahrungsgemäß ist der Innenausbau das Komplizierteste. Da gibt es oft noch Überraschungen.

DORGERLOH: Die Haustechnik ist in der Tat sehr anspruchsvoll. Das Humboldt Forum soll ja auch unter dem Aspekt der Energieeffizienz ein vorbildliches Haus sein. Zur Nutzung der Geothermie bohren wir zurzeit über hundert Meter tief in den Berliner Grund. Es bleibt also noch einiges zu tun. Das Angebot des Humboldt Forums selbst wird aber hoffentlich nie fertig sein. Denn es soll sich permanent weiterentwickeln, immer wieder Neues hervorbringen, das sich zu entdecken lohnt. Und genau dieser Prozess wird sich bereits in der Eröffnung abbilden.

Wie unterscheidet sich das Humboldt Forum mit seinen Sammlungen künftig von den Museen auf der Insel?

PARZINGER: Die Museen im Humboldt Forum werden die Verflechtung der Weltkulturen zeigen, kulturelle Entwicklungen in ihrer Abhängigkeit vom Naturraum erklären und neue Wege der Deutung in Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften entwickeln. Die gesellschaftliche Rolle von Museen hat sich radikal verändert. Wir denken Humboldt Forum und Museumsinsel als Einheit. Die neuen Wege, die wir im Humboldt Forum gehen, werden natürlich auch auf die Häuser der Museumsinsel ausstrahlen. Kultureinrichtungen können eine Menge zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen, wenn sie Orientierungswissen bieten und sich an den Fragen orientieren, die die Menschen heute bewegen, ja beunruhigen.

Blick ins Foyer. Filme und Digitales für die Besucher.
Blick ins Foyer. Filme und Digitales für die Besucher.

© SHF / Franco Stella mit FS HUF PG

Ob Provenienzforschung oder das Kreuz: Am Humboldt Forum entzünden sich die Auseinandersetzungen. Ist es eine Art Blitzableiter?

DORGERLOH: Die Debatte über religiöse Symbole oder koloniale Beziehungen existiert auch unabhängig vom Humboldt Forum, und sie wird nicht nur in Berlin geführt. Aber hier kann die Diskussion an einem prominenten Ort ausgetragen werden. Hier wird vieles anschaulich. Und so soll es auch bleiben, das ist genau richtig.

PARZINGER: Das Humboldt Forum ist geradezu ein Katalysator für diese brennenden Themen. Die Geschichte des Ortes ist hochpolitisch, natürlich provoziert der Wiederaufbau des Schlosses auch. Wofür steht das alles, was steckt dahinter? Gerade weil es im Berliner Schloss stattfindet, kann die politische Dimension in der Befassung mit kulturellem Erbe gar nicht mehr ausgeblendet werden.

DORGERLOH: In meinen Augen ist das Humboldt Forum ein Haus des Internetzeitalters. Frühere Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur stellten die Dinge immer gut sortiert nebeneinander. Hier aber entsteht ein Netzwerk: Man will die eine Sache wissen, und plötzlich ist man ganz woanders. Es gibt keine Hierarchie der Objekte mehr, also nicht: hier die große Kunst, dort das Alltagsobjekt aus der Volkskunde. Nicht: Hier das Alte und da das Neue, oder das Digitale und das Analoge. Sondern eben alles zusammen – was es auch schwieriger macht.

Das muss auch auf die Häuser der Museumsinsel ausstrahlen, da sind die Staatlichen Museen gefordert.

PARZINGER: Die Museumsinsel befindet sich längst in einer digitalen Transformation. Und hier steht ebenso kulturelle Bildung im Zentrum: Das Haus Bastian wird dabei bald das Epizentrum sein. Wie gesagt, Museumsinsel und Humboldt Forum gehören zusammen: Nur beide zusammen zeigen diese ganze Welt! Auf der einen Seite der Nahe Osten und Europa, auf der anderen Seite Amerika, Afrika, Asien, Ozeanien. Dabei werden wir vielerlei Querverbindungen aufzeigen und Objekte in ganz neue Dialoge bringen, wie jetzt schon auf der Museumsinsel im Rahmen der „Neuen Nachbarn“. Ende Oktober geht es mit ausgesuchten Highlights, die nach Eröffnung im Humboldt Forum zu sehen sein werden, auf der Museumsinsel und am Kulturforum weiter.

Bis Juni gab es drei Gründungsintendanten. Jetzt sitze ich hier mit dem Generalintendanten Dorgerloh und dem Präsidenten der Preußenstiftung Hermann Parzinger. Ist das Geschäft einfacher geworden?

PARZINGER: Hartmut Dorgerloh ist der Generalintendant, und ich bin Mitglied in seinem Stiftungsrat. Vor Ort im Humboldt Forum ist der Sammlungsdirektor Lars-Christian Koch verantwortlich. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist der größte Partner, es gibt im Humboldt Forum aber auch noch das Stadtmuseum Berlin und die Humboldt Universität. Die Entwicklung der Struktur, in der wir heute zusammenarbeiten, war komplex, aber immer zielgerichtet: Jetzt läuft es reibungslos und partnerschaftlich.

„Das Haus soll zu einer Bühne für alle in Berlin werden.“

Schlossherren. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (l.) und Hartmut Dorgerloh, Chef des Humboldt Forums.
Schlossherren. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (l.) und Hartmut Dorgerloh, Chef des Humboldt Forums.

© Thilo Rückeis

Und das regelt jetzt alles der neue und sehr dicke Kooperationsvertrag?

DORGERLOH: Es ist unser Anspruch, da gar nicht hineinzuschauen. Hermann Parzinger hat die anderen beiden Akteure genannt. Dazu kommt die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, die für den Betrieb des Hauses verantwortlich und in der mein Job als Generalintendant angesiedelt ist. Meine Rolle ist es, dieses Konzert der vier Partner zu organisieren. Darüber hinaus arbeiten wir mit anderen Institutionen wie etwa dem Botanischen Garten, der Akademie der Wissenschaften und dem Naturkundemuseum zusammen. Es gibt auch Pläne, mit der Berlinale oder dem Deutschen Historischen Museum etwas zu machen.

Sie wollen ein eigenständiges Programm aufbauen. Wie wird das aussehen?

DORGERLOH: Eine große Rolle wird die darstellende Kunst spielen, wir können eine Bühne sein für Tanz, Musik oder Film. Vom antiken Theater bis zum Schattenspiel hat das Performative eine große, weltweite Bedeutung, das wollen wir aufzeigen. Dann verstehen wir uns als Verstärker für andere Aktivitäten in der Stadt. Auch an anderen Orten werden wir Programme zeigen, in Berlin, in Deutschland, in der Welt. Zum Beispiel soll eine der ersten Wechselausstellungen später auch in Daressalam zu sehen sein. Dabei geht es unter anderem um den Maji-Maji-Krieg, also den Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Das Konzept entwickeln Kuratorinnen und Kuratoren aus Tansania und Deutschland gemeinsam.

In Berlin gibt es die Befürchtung, das große neue Humboldt Forum wolle alle anderen dominieren.

PARZINGER: Trotz der ungeahnten Möglichkeiten des Humboldt Forums gibt es dazu keinen Anlass. In Berlin machen das Haus der Kulturen der Welt, das HAU, die Berliner Festspiele oder das Gorki Theater tolle internationale Programme. Da wird das Humboldt Forum erst noch seine Rolle und sein eigenes Profil finden müssen. Ich sehe die spannende Herausforderung darin, es nicht zu einem neuen Konkurrenten, sondern zu einer Plattform für Kooperationen zu machen, zu einer Bühne für alle in Berlin.

Man hört, dass Sie mit einer Ausstellung über Elfenbein eröffnen wollen?

DORGERLOH: Das ist nur eine von vielen Ideen. Im Rahmen des Eröffnungsprogramms werden wir mehrere Ausstellungen zeigen, auch Sonderausstellungen im Erdgeschoss und Wechselausstellungen in den beiden oberen Etagen, zu sehr unterschiedlichen Themen. Uns interessieren dabei vor allem anthropologische und aktuelle Fragen. Wie hängen die Dinge zusammen, wie sind beispielsweise Ökologie, Tierschutz, Kolonialismus, globaler Handel und Kunstproduktion verbunden. Solche Themen werden Vorrang haben. Geschichten also, die für uns heute aus der historischen Verbindung heraus relevant sind – in einer immer mehr fragmentierten Welt, die zugleich immer mehr zusammenhängt und in der die Abhängigkeiten immer deutlicher werden. Da wollen wir Angebote zur Orientierung geben.

PARZINGER: Menschen aus aller Welt leben hier und werden hier bleiben. Unsere Gesellschaft wird ethnisch, kulturell und religiös immer vielfältiger. Ich bleibe dabei: Gerade in Zeiten des Populismus müssen wir das auch als Chance begreifen, denn nur mehr Wissen über andere führt zu mehr Toleranz und Respekt. Die Geschichte Europas ist eine einzige Geschichte der Migration.

Die aktuelle Archäologie-Ausstellung im Gropius Bau, „Bewegte Zeiten“, erfüllt genau diese Anforderung. Das Humboldt Forum ist bei diesen Themen nicht allein und auch nicht der Erste.

PARZINGER: Die ältesten Ackerbauern kamen quasi auf der Balkan-Route von Anatolien nach Mitteleuropa, wie jüngste wissenschaftliche DNA-Untersuchungen zeigen. Dem Phänotyp nach waren es dunkelhäutige Menschen. Solche Geschichten müssen Museen erzählen! Unsere Museen reagieren aber auch auf die Migrationen von heute: Bei der „Multaka“-Initiative werden geflüchtete Menschen aus dem Nahen Osten zu Museumsführern ausgebildet, aber nicht nur für das Museum für Islamische Kunst, sondern auch im Bode-Museum. Ich habe einen Traum, dass nämlich ein Flüchtling aus Syrien eines Tages einem Berliner eine Riemenschneider-Skulptur erklärt!

Wie und wo werden die Brüder Humboldt im Humboldt Forum zu finden sein?

DORGERLOH: Wilhelm und Alexander von Humboldt sind die geistigen Paten des Ganzen und an vielen Stellen direkt oder indirekt präsent. Zum Beispiel im Lautarchiv, im Amerikabereich, aber auch in der Berlin-Ausstellung. Und ihnen ist auch eine unserer geführten Basistouren durch das Haus gewidmet.

PARZINGER: Die Abhängigkeit kultureller Entwicklungen von den naturräumlichen Gegebenheiten zu sehen, ist ein sehr Humboldtscher Ansatz und zugleich einer der roten Fäden im Humboldt Forum. Die Brüder hatten ein ganzheitliches Bild von der Welt. Für die Besucher müssen wir genau dieses ungemein differenzierte Wissen über die Welt wieder zusammenführen und auf faszinierende Weise anschaulich machen.

Das Humboldt Forum ist eröffnet, der Eintritt für die Sammlungen ist frei, ich gehe also hinein – wie finde ich mich zurecht?

DORGERLOH: Es gibt ein Leit- und Orientierungssystem, Filme informieren über die Geschichte des Hauses und auch über die Idee des Humboldt Forums. Wir bieten Touren an und es gibt Guides, die Sie durchs Haus führen. Ansonsten ist es wie im Louvre, im British Museum oder im KaDeWe: Ich muss mich entscheiden.

Rüdiger Schaper

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