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© Salzgeber

„Irrlicht“ im Kino: Der König, der Feuerwehrmann sein wollte

Der portugiesische Regisseur João Pedro Rodrigues verwebt mit „Irrlicht“ auf wunderbare Weise Vignetten von queeren Begehren und erotischen Skurrilitäten.

Von Till Kadritzke

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Ein angehender Thronfolger, der beim Abendessen vor seinen königlichen Eltern eine Greta-Thunberg-Rede vom Handy deklamiert. Eine Gruppe sexy Feuerwehrleute, die in erotischen Posen berühmte Gemälde der Kunstgeschichte nachstellen. Eine heimliche Erektion in einem Wald, hinter dessen Bäumen unversehens ein Kinderchor auftaucht und einen Naturschutzsong zum Besten gibt.

Ein „Irrlicht“ ist dieser neue Film des portugiesischen Regisseurs João Pedro Rodrigues wahrhaftig. Er irrt umher, angetrieben weniger von einer Erzählung als einem Begehren, das sich an alles mögliche haftet, vor allem an die Feuerwehr und an den Wald. Und doch ist dies keine Nummernrevue, keine beliebige Aneinanderreihung von Skurrilitäten. Für Prinz Alfredo (Mauro Costa) ist die sich abzeichnende Klimakatastrophe nämlich bitterer Ernst, so sehr, dass er seinen schockierten Eltern eines Abends eröffnet, eine Karriere als Feuerwehrmann beginnen zu wollen.

Von der stabilen Seitenlage in die erregte Herzdruckmassage

Die Bewegung des jungen Prinzen und damit auch die des Films führt von der als sterile Theaterbühne inszenierten Dinner-Table-Welt des (fiktiven) portugiesischen Königshauses hinein in eine Feuerwache, die zugleich eine Art klassenlose Gesellschaft – wie eine Utopie der queeren Leidenschaften – darstellt. Vor allem zwischen Alfredo und Afonso (André Cabral) knistert es schon beim ersten Händedruck. Bis zu einer zärtlichen Übung der stabilen Seitenlage und einer erregten Herzdruckmassage ist es nicht weit.

Es ist also zu gleichen Teilen ein politisches Bewusstsein wie ein erwachendes schwules Begehren, das den jungen Prinzen zur Feuerwehr treibt. Und genau dieses doppelte Begehren durchzieht „Irrlicht“ selbst. Rodrigues, der 2000 mit „O Fantasma“ seinen Durchbruch feierte, schließt das Körperliche und das Politische immer wieder kurz, nirgends so explizit wie in einer Sexszene im Wald, in der sich der weiße Königssohn und sein schwarzer Lover gegenseitig kolonialgeschichtlich geprägte Beleidigungen an den Kopf werfen, während sie sich einen blasen.

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„Eine musikalische Fantasie“ nennt sich „Irrlicht“, und tatsächlich fabuliert Rodrigues hier munter drauf los: Er lässt den Film im Jahr 2069 – König Alfredo liegt furzend auf dem Sterbebett – beginnen und enden, die Titelsequenz folgt erst nach einem Drittel, immer wieder gehen Dialogszenen in tänzerische Choreografien über. Klassik, Pop und Fado geben sich die musikalische Klinke in die Hand, und nach nur etwas über einer Stunde ist der Zauber schon wieder vorbei.

„Irrlicht“ unterläuft also mit großer Freude filmische Konventionen, lässt sich kaum klassifizieren, kommt aber niemals sperrig daher oder stellt angestrengt einen Kunstwillen aus. Im Gegenteil scheint Rodrigues mit seinem Publikum regelrecht zu spielen, und der zwischen feiner Ironie und derben Schenkelklopfern changierende Humor erinnert mitunter an Luis Buñuel – auch wegen der niemals spröde dozierten und doch umso ernster gemeinten radikalen Gesellschaftskritik.

Denn „Irrlicht“ verwebt nicht nur die Klimakatastrophe, sondern auch die Pandemie sowie aktuelle postkoloniale Diskurse mit viel Spaß am barocken Exzess zu einer anarchisch-erotischen Feuerwehr-Fantasie. Auf keinen Fall sollte diese in einer Special-Interest-Nische namens Queer Cinema landen, auch wenn dessen Pate John Waters höchstpersönlich „Irrlicht“ in seine Jahresend-Top-Ten-Liste aufgenommen hat.

Denn wie Rodrigues hier ausgehend von simplen visuellen Motiven und den Diskursen unserer Zeit ein Stück Kino von nur 67 Minuten schafft, das zu gleichen Teilen spielerische Komödie, scharfsinnige politische Analyse und erotisches Körper-Musical ist, das sollten wirklich alle gesehen haben.

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