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Kultur: Ist Adorno schuld?

Eine

von David Ensikat

Neuer Patriotismus“ in der Praxis. In der S-Bahn zwischen Bernau und Berlin sitzt ein junger Mann mit Glatze und „Hate Nation“-T-Shirt. Er bittet mich freundlich, ob er aus meiner Zeitung die Seite mit dem schönen Bild haben kann. Auf der ersten Feuilletonseite der „Zeit“ steht ein Artikel über das Deutsche Historische Museum, illustriert mit einem „Germania“-Bild. Germania guckt sehr böse, ihre Brüste stecken im Eisenpanzer. Darf man Nazis mit Germaniabildern ausstatten? Wenn drum herum ein „Zeit“-Artikel steht, darf man das, finde ich und reiche dem Glatzkopf die Seite. „Mach ick mir gleich an die Tür“, sagt er froh. Ein junger Ostdeutscher, stolz auf sein Germanentum.

Ein paar Abende zuvor beim Bier. Der Freund, ein Mittvierziger aus dem Westen, erzählt, dass Adorno sich von Nutten habe auspeitschen lassen. Später kommen wir auf den Stolz. Der Freund bedauert, dass die Achtundsechziger alles kaputt gemacht hätten. Autoritäten, Vorbilder, an wen könne man sich denn noch halten? Adorno zum Beispiel komme schon wegen der Nutten nicht mehr in Frage. Die Achtundsechziger sind schuld, ja, irgendwie auch Adorno.

Germanenstolz und Achtundsechzigerkahlschlagsjammer. Das sind die Pole, zwischen denen eine Patriotismusdebatte entsteht. Inmitten der derzeitigen habe ich ein schwarz-rot-goldenes Schlüsselband geschenkt bekommen und einen Gartenzwerg. Der pfeift, wenn sich etwas vor ihm bewegt. Alles Ironie, versteht sich.

Mein Sohn, zehn Jahre alt, sah das Deutschlandband herumliegen und fragte, ob er es haben darf. Völlig unironisch, versteht sich. WM-technisch ist er „für uns“; mir ist die WM ähnlich egal wie ein Pokémon-Derby auf seinem Gameboy. Aber sollte mein Sohn jetzt Schwarzrotgold tragen? Die Mutter sagte: „Och, lass ihn doch.“ Also hab ich ihm das Ding gegeben. Als ich gestern die vierjährige Tochter in den Kindergarten brachte, trug ihre Kindergartentante Bunny-Ohren auf dem Kopf, allerdings drei, ein schwarzes, ein rotes, ein gelbes. Meine Tochter fand das todschick. Ich nicht, aber ich hab’s nicht gesagt.

Ich habe kein Problem, Deutscher zu sein, wirklich nicht. Warum habe ich ein Schwarzrotgoldproblem? Werde ich nie meinen Schlüssel ans Nationalband hängen? Werden Frauen mit schwarzrotgelben Bunny-Ohren mir mein Leben lang fragwürdig erscheinen?

Vielleicht liegt es ja daran, dass ich persönlich weder Adorno noch den Achtundsechzigern irgendwas übelnehmen kann. Und dass ich außerdem die eisenbrüstige Germania eher unsexy finde.

Soll ich mich vor den Fernseher zwingen, wenn unsere Jungs – nein, wenn wir spielen? Vielleicht hilft das ja. Vielleicht macht das locker.

Spielen wir denn noch? Sind wir noch drin? Wenn ja, und wenn es wirkt, werde ich mit meinem Sohn eine völlig neue Patriotismusdebatte führen: Muss er mir mein schwarzrotgoldenes Band zurückgeben, oder muss ich mir ein neues kaufen? Und wo stelle ich den Gartenzwerg auf?

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