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Eingesperrt. Sollen die Cryptoiden gefangen und ausgestellt werden?

© Mubi

„Cryptozoo“ im Kino: Jagd auf wundersame Traumfresser

Im spacigen Animationsfilm „Cryptozoo“ mischen kleine Chimärenwesen die Hippiekultur der USA auf. Vor allem der visuelle Stil verzaubert das Auge.

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Für Menschen, die häufig schlecht träumen, könnte der nächtliche Besuch eines Bakus lebensverändernd wirken. So jedenfalls erging es Lauren Grey. In ihrer Kindheit, die sie kurz nach dem 2. Weltkrieg auf einer Militärbasis in Okinawa verbrachte, wurde sie andauernd von den schlimmsten Albträumen geplagt. Bis eines Nachts ein babyelefantenähnliches Wesen ans Bett trat, seinen langen Rüssel an ihre Stirn andockte und das schreckliche Zeugs einfach aus ihrem Kopf saugte.

Inzwischen – es sind die frühen Siebzigerjahre in Kalifornien – ist Lauren Veterinärmedizinerin und widmet sich der Rettung von Cryptoiden. Die wenigen verbleibenden Arten sollen im Cryptozoo ihr Zuhause finden, ein von Joan initiiertes Projekt, das den Gedanken des Bewahrens mit kapitalistischer Logik verbindet. Aber auch böse Menschen haben ein Interesse an den exotischen Wesen.

Zum begehrten Objekt beider Seiten wird dabei das traumessende Baku. Das amerikanische Militär will es als Biowaffe einsetzen, um die Träume der Gegenkultur zu vernichten. Mit Unterstützung von Phoebe, einer Gorgone, die sich als Mensch ausgibt und ihre Schlangenhaare unter einem Kopftuch verbirgt, begeben sich die beiden Frauen auf die Jagd.

Erzählt wird diese Geschichte von Dash Shaw und Jane Samborski in den schillernden Bildern eines handgezeichneten Animationsfilms. Shaw ist als Autor und Zeichner von Graphic Novels wie „Cosplayers“ und „Bottomless Belly Button“ in der Undergroundcomic-Szene bekannt, seine Arbeits- und Lebenspartnerin Samborski arbeitet als Animationsregisseurin. Zu den visuellen Inspirationsquellen von „Cryptozoo“ zählen vor allem die psychedelischen Underground-Comics der 1960er Jahre, aber auch Windsor McCay und Hokusai, der das Chimärenwesen aus dem japanischen Volksglauben mehrfach zeichnete, haben ihre Spuren hinterlassen.

[Im Kino Babylon in Mitte und bei Mubi]

Auch wenn Shaw und Samborski einen speziellen Look kreiert haben, ist „Cryptozoo“ kein von vorne bis hinten einheitlich durchgestalteter Film. Stattdessen greifen verschiedene Handschriften und Stile fast collagenartig ineinander. Manche Panels sind mit feiner Linie gezeichnet und erinnern an Jugendstil, andere sind malerischer, mit aquarellierten Flächen und sichtbaren Pinselspuren. Besonders viel Liebe ist in die Gestaltung der Cryptoiden geflossen, die alle auf vorhandenen mythologischen Figuren beruhen.

Von den Utopien der Siebzigerjahre in die Gegenwart

Man erkennt darin das visionäre Creature Design der Siebzigerjahre wieder, als extraterrestrische Lebensformen mit einer gerade erwachenden Sensibilität für die Umwelt gedacht wurden – und außerdem fröhlich bunt waren. Die Regenbogenfarben der Hippiekultur bringen viel Licht in die durchaus mit dunklen Tönen gefärbte Geschichte. Von den Utopien der Siebzigerjahre führt sie direkt zu den Fragen der Gegenwart: von Ökologie über Diskriminierung und Minderheitenrechte bis hin zu Transhumanismus und artenübergreifenden Beziehungen.

Zum kontrovers diskutierten Ort im Film wird nämlich ebender titelgebende Cryptozoo. An der Frage, ob es sich dabei um einen Zoo – also um eine Art Freakshow –, um eine Shoppingmall oder um eine Zufluchtsstätte handelt, scheiden sich die Spezies.

Esther Buss

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