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Kultur: Jehuda Amichai: Nicht von jetzt, nicht von hier

"Und wenn die Zeit kommt, werde ich die Tarnkleider meines Endes anziehen:/ Weiß der Wolken, viel Blau des Himmels/ Und Sterne ohne Zahl." Mit dieser unauffälligen Hommage an die Flagge der Heimat Israel endet ein Gedicht Jehuda Amichais, in dem er eine durchaus zwiespältige Bilanz seiner jungen Jahren zieht ("Was habe ich in den Kriegen gelernt").

"Und wenn die Zeit kommt, werde ich die Tarnkleider meines Endes anziehen:/ Weiß der Wolken, viel Blau des Himmels/ Und Sterne ohne Zahl." Mit dieser unauffälligen Hommage an die Flagge der Heimat Israel endet ein Gedicht Jehuda Amichais, in dem er eine durchaus zwiespältige Bilanz seiner jungen Jahren zieht ("Was habe ich in den Kriegen gelernt"). Denn er gehörte zu der Generation der Israelis, deren prägende Erlebnisse Kriege waren: Als Freiwilliger der Jüdischen Brigade nahm er am Kampf der Alliierten gegen NS-Deutschland teil. Später kämpfte er in den Unabhängigkeitskriegen des jungen Staates Israel gegen die arabischen Nachbarn.

1924 in Würzburg geboren und 1935 nach Palästina emigriert, ist er als Schriftsteller im deutschen Sprachraum erst mit großer Zeitverschiebung, ab 1988, wahrgenommen worden. Ein treibendes Moment seines Schreibens - wie es sich in seinem Roman "Nicht von jetzt, nicht von hier (deutsch 1992) zeigt - bildet das Vergessen der Vergangenheit, um in der Gegenwart leben zu können, und zugleich die Notwendigkeit, ja der Zwang des Erinnerns. Dieses Zwillingsmotiv bezieht sich nicht nur auf den Bruch im Leben des Kindes Ludwig Pfeuffer (so sein deutscher Name), sondern auch auf die Geschichte seines Volkes, das nach der Rückkehr aus der Diaspora "geworden war wie alle Völker".

Gewiss oft zweifelnd, nie aber im bloßen Rückzug auf das eigene Ich hat er das "blinde Wissen" des Geschichtsempfindens in Sprache verwandelt: in Romane, Erzählungen und Gedichte, diese Liebeserklärungen an seine schwierige Heimat, an die Frauen und die hebräische Sprache. Am schönsten vielleicht charakterisiert ihn, was er einmal im Interview sagte. Zu Beginn des "Jom-Kippur-Krieges" 1973 habe er das Gefühl gehabt, nicht nur das Land, sondern auch die Sprache und Dichtung zu verteidigen. Die bildkräftige, leidenschaftliche Diktion seiner Gedichte, auch seiner Prosa lässt Amichai fast als kunstreichen Naiven erscheinen und macht vergessen, wie bewusst diese "Naivität" herausgearbeitet ist.

Eines seiner schönsten Liebesgedichte ("Dazwischen") beginnt mit der Frage: "Wo werden wir sein, wenn diese Blüten zu Früchten werden/ Im engen Dazwischen, wenn die Blüte keine Blüte mehr ist/ Und die Frucht noch keine Frucht. Welch wunderbares Dazwischen machten wir/ Einer dem anderen zwischen Körper und Körper ..." Es endet mit den rätselhaften Zeilen: "Das sind die letzten Tage der Bücher/ Dann kommen die letzten Tage der Wörter./In einigen Jahren wirst Du es verstehen." Jehuda Amichai, Träger des Israel-Preises von 1982, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt seit 1993, Gestern ist Amichai mit 76 Jahren in Jerusalem gestorben. Nun bezeugen seine Bücher, dass es für die Erinnerung keine "letzten Tage" gibt.

Christiane Auras

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