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Kultur: Kakerlakentanz

Club Transmediale: das Laptop als Disco-Maschine

Giftige Breakbeats durchsieben die Luft, tackern ihr Stakkato in die Bretter, um nach kurzen Pausen ihren Terror fortzusetzen. So hört sich eine Musik an, die auf nichts hinaus will, nur tiefer hinein in die Klänge, bis alles pulsiert, bröckelt und bebt. Richard Devine, ein amerikanischer Spitzbube im Slayer-T- Shirt schreit mit aufgerissenen Augen in sein Laptop, Samstagmorgen, 4 Uhr 30. Kein schlechter Auftakt für den Club Transmediale, der die Maria am Ufer für neun Tage in einen knisternden Basar elektronischer Grenzgänge verwandelt.

Obwohl das Motto „Fly Utopia!“ ein wenig nach Billigflieger-Angebot riecht, haben die Veranstalter wieder ein erstklassiges Programm auf die Beine gestellt – eine Vielzahl von Projekten, Performances und Konzerten, ergänzt um Diskussionsrunden und Busfahrten zu Klanginstallationen an geheimen Orten, Ausstellungen, ein Radioprogramm, ein Plattenladen, überall Kabel, Stecker, Monitore, Leute, die staunen, trinken, tanzen, quasseln. Kurz: ein Ort für die Party. Aber eben nicht nur. So wird es auch um die zurückgenommene Bühnenpräsenz von Laptop-Musikern gehen und deren Hinwendung zum totalen Körpereinsatz.

Man staunt nicht schlecht über die durchgeknallte Kevin Blechdom, die mit ihrer Low-Fi-Fummelelektronik zwischen Augsburger Puppenkiste und Karaoke-Show an den Nerven kratzt, sowie den Chicks On Speed, die in bunten Kostümen auf die Bretter treten und sich als Riot-Girl-Cover-Band durch die New-Wave- und Disco-Ära wälzen, von „Might Your Own Business“ von Delta 5 bis zu „Kaltes Klares Wasser“ von Malaria. Hinter ihnen laufen derweil feministische Videos, Lippenstiftgeschmiere in Großaufnahme.

Einen vorläufigen Höhepunkt des Festivals liefert dann einer, der den Spieß wieder umdreht, indem er unter dem genialen Decknamen Donna Summer auftritt, obwohl er nicht mal eine Drag-Queen ist: Jason Forrest aus New York, ein begnadeter Alleinunterhalter, der sich seine Musik aus den Hitparaden der Siebziger und Achtzigerjahre zusammenschnipselt. Bigbandbläsersätze, rasante Heavy-Metal-Gitarrenläufe, Schlagzeugsoli, schwitzende Disco-Handclaps, aufgeladen mit dem verrücktesten Gabba- und Breakbeat-Gebretter, das man je gehört hat. Wobei das körperliche zum intellektuellen Vergnügen wird, wenn man in dem Sample-Irrsinn Anklänge an Joe Jackson, Iron Maiden oder Pink Floyd erkennt.

Das wird schwer zu überbieten sein. Aber für die folgenden drei Nächte sind noch einige Hochkaräter im Programm: der Wiener Christian Fennesz, dessen mikrotonale Geräuschkulissen am ehesten mit dem Kribbeln von Kakerlakenbeinchen auf der Haut zu vergleichen sind und das Dancehall-Insekt „The Bug“ von Kevin Martin, der jamaikanische Ragga-Beats mit fiesem Industriallärm in neue energetische Höhen führt.

Es muss einem nicht alles gefallen, aber immerhin kann man sicher sein, dass etwas so steriles wie ein Notebook plötzlich furiose Lärmwelten entfesselt (bis 7.2., Infos unter www.clubtransmediale.de).

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