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Kultur: Kammer des Schreckens

Großartige Bilder der amerikanischen Fotografin Lee Miller in der Galerie Hiltawsky.

Ihr Gesicht wird der Betrachter so schnell nicht vergessen. Selbst wenn es, wie in einer Aufnahme aus dem bombardierten London von 1941, unter einer Schutzmaske steckt. Bestens zur Wirkung kommen die feinen Gesichtszüge beim Selbstporträt aus dem Jahr 1932, wo die Fotografin womöglich ein letztes Mal als Model posierte: den Oberkörper in einem hochgeschlossenen Kleid in den Sessel gedreht, das naturgewellte Haar sorgfältig zurückgekämmt, am Hinterkopf flauschig gelockert, präsentiert sie sich als Dame von Welt. Und noch ein drittes Mal darf man in dieser von der Galerie Hiltawsky getroffenen Auswahl aus dem vielfältigen Lebenswerk von Lee Miller Kopf und Schultern der in New York aufgewachsenen Berühmtheit bewundern, freilich an einem befremdlichen Ort. Ihr Kollege David Scherman durfte sie in Hitlers Badezimmer in dessen Münchener Residenz begleiten, wo die amerikanische Kriegskorrespondentin „ihr erstes warmes Bad nach langer Zeit“ nahm, wie eine Biografin schreibt.

Zu fotografieren begonnen hatte die Tochter eines begeisterten Amateurfotografen, dem das Mädchen immer mal Modell stehen durfte, als Zwanzigjährige in Paris, wo sie Schülerin, Modell und Geliebte des Künstlers Man Ray wurde. Gemeinsam erprobte das Paar noch einmal das schon neunzig Jahre zuvor von Louis Daguerre erfundene Verfahren der Solarisation, bei dem das Sonnenlicht direkt auf die beschichtete Platte geleitet wird. Das auf die Weise entstandene grafische Brustbild einer jungen Frau, wahrscheinlich der Künstlerin Meret Oppenheim, prangt in der Ausstellung wie eine Ikone und ist ein früher Beweis von Lee Millers Begabung für ganz aus der Bewegung und Begegnung „geschossene“ Porträts. Doch bevor die Lebenskünstlerin, die sie auch war, den Reigen der Prominenten der Pariser Kunstszene fortsetzte, ging sie an der Seite ihres ersten Ehemannes Aziz Eloui Bey nach Ägypten, um dort, die Langeweile vertreibend, die erotischen Formen des Wüstensandes zu erkunden. Die eine Aufnahme aus dieser Zeit ist umso bemerkenswerter, weil Lee Miller normalerweise keinen Sinn für Landschaften hatte.

Lange sollte sie es in der Fremde nicht aushalten. Kaum wieder in Paris, verliebte Miller sich in den britischen Maler und Kunstsammler Roland Penrose, der bald darauf ihr zweiter Mann wurde. Bei Kriegsausbruch ging sie nicht nach Amerika zurück, sondern mit Penrose nach England. Was nun folgte, hätte der verwöhnten, zuweilen hypochondrischen Frau kaum jemand zugetraut: dass sie 1942 eine Uniform der US-Army überzog und nach der Landung in der Normandie als Kriegskorrespondentin für „Vogue“ in Bild und Wort über das zerstörte Europa berichtete. „Deutschland ist eine wunderschöne Landschaft, gepunktet mit Dörfern wie Juwelen, gefleckt mit ruinierten Städten und bewohnt von Schizophrenen“, zieht sie einmal ein bitteres Resümee ihrer Eindrücke aus dem in Trümmern liegenden Nürnberg, München und den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau. Die Fotos von den Leichenbergen und den Gesichtern der gestern noch mordenden, nun um ihr Leben bangenden Wachmannschaften der SS sind erschütternde Bildzeugnissen aus dem Reich des Grauens. Auch davon zeigt die Ausstellung einige – unverkäufliche – Beispiele.

Anders als etwa ihr Kollege Frank Capa zog es Lee Miller danach nicht zu den neuen Kriegsschauplätzen in Fernost. Sie ging zurück nach Paris und fotografierte amerikanische Soldaten beim verliebten Geplänkel mit französischen Frauen. Doch bald verlor Miller die Straße wieder aus dem Blick und kehrte zum vertrauten Thema der künstlerischen Avantgarde zurück. Am häufigsten porträtierte sie Picasso, der sie gern in seinem Atelier empfing. Wie sich das Gesicht des großen Spaniers von ihrer ersten Begegnung im Jahr 1937 bis zu der vermeintlich letzten von 1963 veränderte, vom schmalen jungen Mann in einer Hotelhalle zum selbstbewussten Meister, der ihr zwischen Dutzenden Bildern mit einem Blick von unergründlicher Tiefe entgegensieht – schon um dieser Erforschung eines Gesichts wegen lohnt der Gang in die Ausstellung. Dazu kommen Porträts von Max Ernst, der Colette, Jean Cocteau, Marlene Dietrich, Man Ray, Igor Strawinski, Paul Eluard – Schwarz-Weiß-Prints aus der unnummerierten Auflage der in Süd-Sussex ansässigen Lee Miller Archives. Preise von 1200–1900 Euro könnten auch weniger betuchte Sammler anlocken.

Nur einige Schritte von Hiltawsky entfernt bietet Kicken noch am heutigen Samstag hochdotierte Originalprints von Diana Arbus an. Ein größerer Gegensatz als der zwischen der konsequent auf die Außenseiter fokussierten New Yorkerin und dem von einer schönen oder dramatischen Gelegenheit zur anderen schwebenden Weltkind Miller lässt sich kaum denken. Diese zufällig zustande gekommene Polarität in der Berliner Galerienlandschaft – Camera Work machte mit Ralph Gibson kürzlich noch eine dritte Position auf – offenbart die Spannbreite der amerikanischen Fotografie.

Galerie Hiltawsky, Tucholskystr. 41, bis 6. Oktober, Mi–Sa 14 bis 18 Uhr

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