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Rundfunk Sinfonieorchester Berlin

© Kai Bienert

Rundfunk-Sinfonieorchester beim Musikfest Berlin: Kann Kunst das Leben ändern?

Von Krieg, Leid und Tod erzählen die Werke, die Marek Janowski und sein Rundfunk-Sinfonieorchester beim Musikfest aufführen. Mit der Fokussierung auf den Kern der Partituren gelingen ihm dabei Interpretationen von bezwingender Dichte.

Wie sich Musik im Spiegel der Politik verhält, klagend, verstummend, protestierend, ist Thema des Abends, mit dem sich das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Philharmonie am Musikfest beteiligt. Von Béla Bartóks vier Stücken für Orchester, in denen die Liebe des Komponisten zu seiner Heimat noch nicht die Schmerzen im amerikanischen Exil kennt, führt das Programm zur 13. Symphonie von Schostakowitsch.

Zwischenstation ist das „Concerto funèbre“ von Karl Amadeus Hartmann, ein Stück aus Vorahnung und tiefer Not von 1939. „Kann Kunst das Leben ändern?“ hat Hans Neuenfels in einer seiner frühen Inszenierungen auf einem Spruchband gefragt. Für den Münchner Komponisten und Symphoniker Hartmann bleibt in seinem Konzert für Violine und Streichorchester nur der persönliche Kontrapunkt verzweifelter Trauer zu der Katastrophe des Polenfeldzugs und dem Jubel über den Sieg. „Musik der Trauer“ hieß das Violinkonzert damals noch, als es 1940 in St. Gallen zur Uraufführung kam. Der Komponist schwieg dann in selbst gewählter Isolierung bis nach Kriegsende.

Isabelle Faust.
Isabelle Faust.

© Felix Broede

Das RSB mit seinem Chefdirigenten Marek Janowski, ein Fixstern im Berliner Musikleben, begleitet mit der ihm eigenen Aufmerksamkeit eine Solistin von außerordentlichem Format. Es ist Isabelle Faust, deren intellektuelle Musikalität aus ihren Interpretationen von Beethoven bis Berg renommiert ist. An Alban Berg, dessen Konzert sie unter Claudio Abbado gespielt hat, knüpft Hartmanns Werk an. Die Geigerin hat einen ganz eigenen Ton für diese Musik der Einsamkeit, weil er zugleich fahl und beseelt klingt, tieftraurig und glühend. Die instrumentale Kunst mit ihren Flageoletts und Nuancen des Vibratos gehorcht einer Stimme von innen.

Gegen den sowjetischen Antisemitismus richtet sich die Dreizehnte, „Babi Jar“, von Dmitri  Schostakowitsch, auf den das Festivalprogramm einen wichtigen Akzent setzt. „Babi Jar“ sollte nach dem Krieg vergessen werden. Es ist jene Schlucht außerhalb von Kiew, die 1941 Schauplatz eines der größten Massenmorde im Zweiten Weltkrieg war. Juden wurden in dieser Zeit noch von mobilen SS-Truppen mit Schusswaffen umgebracht. Mehr als 33 000 starben, nachdem eine „Evakuierungsaktion der Juden“ sie aus der Stadt Kiew in die Schlucht geführt hatte. Später wird versucht, die Spuren des Massakers zu beseitigen. Antisemitismus in der UdSSR verdrängt die Ungeheuerlichkeit der deutschen Schuld.

„Kein Denkmal“: Da setzt 1961 das Gedicht „Babi Jar“ von Jewtuschenko an, das die sowjetische Gesellschaft offen kritisiert. Es liegt dem Adagio der 13. Symphonie zu Grunde, die auf eine brisante Rezeptionsgeschichte  blickt, bis 1970 der  wiederhergestellte Originaltext veröffentlicht werden kann. Die Sätze 2 bis 5 enthalten weitere Jewtuschenko-Gedichte: närrischen Galgen-„Humor“ oder Frauenschicksale „Im Laden“.

Das alles ist keine Elfenbein-Lyrik, sondern hat agitatorisches Potential: „Mir ist, als wenn ich selbst ein Jude bin“ (Übersetzung: Jörg Morgener). Das Orchester beleuchtet unter Janowski mit fabelhaften tiefen Streichern, Pauken und schwerem Blech, burleskem Holz und Solostreichern eine Aufführung in deutscher Sprache. Das ist sinnvoll, weil die Botschaft im Sinn von Aufklärung verstanden sein will. Im Original hätte das einstündige Werk vor einem Publikum, das des Russischen überwiegend nicht mächtig ist, weniger Spannung erreicht. Hier aber gelingt es mit dem bewundernswert wortdeutlichen Estnischen Nationalen Männerchor und der Engagiertheit des Bassisten Günther Groissböck, den Text zu verteidigen: „Und darum steh’ ich hier als wahrer Russe.“

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