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Kultur: Kapielski sucht Bernhard

Die Dame in Wiens „Tourist Office“ weiß sofort Bescheid. Das Café Bräunerhof, na klar, aber das sei nicht in der Bräuner-, sondern in der Stallburggasse, die Straße rechts raus, dann zweimal links.

Die Dame in Wiens „Tourist Office“ weiß sofort Bescheid. Das Café Bräunerhof, na klar, aber das sei nicht in der Bräuner-, sondern in der Stallburggasse, die Straße rechts raus, dann zweimal links. Dass das Bräunerhof das Stammcafé von Thomas Bernhard war, weiß sie nicht: „Dazu kann ich nichts sagen.“ Muss sie natürlich auch nicht. Wiewohl man in der Stallburggasse trotz ihrer Düsternis selbst an diesem sonnenstrahlenden Winternachmittag nicht den Eindruck hat, auf Bernhards Spuren zu wandeln. Auch am Bräunerhof würde man vorbeilaufen, so wenig einladend sieht das Café von außen aus. Die schmutzigen Gardinen lassen keinen Blick ins Innere zu. Der Laden hat von außen so viel Charme wie ein türkisches Männercafé in Kreuzberg oder eine Eckkneipe in Neukölln: Betreten auf eigene Gefahr. Kein Wirt haftet hier für abschätzig musternde Blicke der Stammkundschaft.

In Bernhards Erzählung „Wittgensteins Neffe“ spricht der Erzähler davon, wie sehr er einerseits das typische Wiener Kaffeehaus hasst, „weil alles in ihm gegen mich ist“. Das scheint hier zuzutreffen, genau wie die Einschränkung, die gleich darauf folgt: „Andererseits fühlte ich mich jahrzehntelang gerade im Bräunerhof, das immer ganz gegen mich gewesen ist (wie das Hawelka), wie zuhause, wie im Kaffee Museum, wie in anderen Kaffeehäusern von Wien.“

Drinnen ist gleich alles viel heller, freundlicher, zugewandter. Der Charme der fünfziger Jahre regiert, die abgewetzten Sitzbänke sind wackelig, die ovalrunden Spiegel an den Wänden retrofuturistisch. Das Publikum ist definitiv von heute: junge und ältere Wiener, die es lieber schmucklos als verfeinert haben, kaum Touristen. Darauf, dass Thomas Bernhard hier immer einkehrte, wenn er in Wien war, deutet nur ein großes, Schwarz-Weiß-Foto des Fotografen Sepp Dreissinger im hinteren Teil hin: Bernhard, wie er 1987 entspannt, die Hände in den Hosentaschen, an einem der Tische des Bräunerhofs sitzt, links die Zeitungen, vor sich Kaffee und Wasser.

Mehr Bernhard ist nicht. Nicht einmal ein Plakat deutet darauf hin, dass ein paar Tage später in Wien eine Ausstellung des Bernhard-Fotografen Dreissinger beginnt, aus Anlass des 80. Geburtstag des 1989 verstorbenen Schriftstellers am kommenden Mittwoch. Mehr muss aber auch nicht sein, allein mit Literaturtouristen würden die Bräunerhof-Betreiber nicht über die Runden kommen. Ein bisschen Schriftstellerflair gibt es dann doch noch: Auf einmal betritt der Berliner Dichter Thomas Kapielski zielsicheren Schrittes das Café und setzt sich an eine der Wände mit Blick in die große Runde. Kapielski ordert eine Flasche Bier, scheint sich aber nicht wohlzufühlen: ein Berliner Journalist nur zwei Tische weiter, das geht nicht, ob er’s nun weiß oder nicht, man weiß es nicht. Ein Eintrag ins Notizbuch, ein Blick in den „Kurier“, ruck, zuck das Bier getrunken, schon ist er wieder weg. Das Café Bräunerhof ist zumindest an diesem Tag ganz gegen Kapielski.

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