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Die Installation „Kasse beim Fahrer“ von Reinhard Mucha in der Galerie Sprüth Magers Berlin.

© Galerie Sprüth Magers / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Kasse beim Fahrer: Reinhard Muchas monumentale Skulptur in der Galerie Sprüth Magers

Nach seiner großen Retrospektive im Rheinland zeigt der Künstler ein einziges Werk, das aber seinen gesamten Kosmos ausbreitet und erklärt.

Von Dorothea Zwirner

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Das Licht ist an, die Fahrt könnte losgehen: Kreisförmig angeordnete Gebrauchsgegenstände wie Tische, Stühle, Aluleitern, Neonröhren und Spiegel türmen sich zu der karussellartigen Hauptattraktion, die den großen Raum der Galerie Sprüth Magers derzeit in eine Art Jahrmarkt verwandelt. Doch statt Budenzauber und Kirmesrummel herrschen eher die Nüchternheit und Funktionalität von Baumärkten und Amtsstuben.

„Kasse beim Fahrer“ lautet denn auch der sachlich-bürokratische Titel der Ausstellung und raumgreifenden Installation von Reinhard Mucha, die mit dem Zusatz „02“ ordnungsgemäß als Rekonstruktion seines gleichnamigen Werks von 1987 ausgewiesen wird.

Braun, Grau, Schwarz und Silber sind seine Hauptfarben, Holz, Glas, Alu, Neon, Spiegel und Filz die wichtigsten Materialien, aus denen Reinhard Mucha seit den späten 1970er Jahren seine seltsam spröden Wand- und Raumobjekten baut. Mit Schraubzwingen, Klemmen, Klebeband und Kabeln sichtbar verbunden und mit Ausstellungsequipment wie Rollbrettern, Absperrkordeln und Vitrinen präsentiert, entsteht eine Art Display zweiter Ordnung im bunderepublikanischen Retrolook, das von archivalischer Sorgfalt, penibler Präzision, hermetischer Strenge und hochgradiger Ästhetik gekennzeichnet ist.

Narrative Fundstücke wie alte Koffer, Fotos oder Schlüssel sowie Schlagworte liefern zwar Hinweise auf Muchas Biografie sowie deutsche Nachkriegs- und Zeitgeschichte, aber nicht den eigentlichen Schlüssel zum erratischen Werk des 1950 in Düsseldorf geborenen Künstlers. Dabei finden sich auf jeder der zwölf Karussell-Flächen mit Tesafilm befestigte Schubladenschlüssel, die möglicherweise als Metapher für die sorgfältig verborgenen, verschlossenen oder verdrängten Seiten jeglicher Geschichte gedeutet werden können.

Wie ein Sinnbild für die Undurchdringlichkeit und komprimierte Amnesie von Geschichte präsentiert sich das Wandstück eines filzbezogenen Bildkorpus‘ mit vorgelagerter Glasscheibe als spiegelnder Referenzrahmen. Auf der gegenüberliegenden Seite stellt das zweiteilige Werkensemble „Die Deutsche Frage / Dornap, Für Philip Nelson“ diese buchstäblich in den Raum. Denn die mit billigem Balatum-Fußbodenbelag hinterlegte Wandvitrine und die gestapelten Koffer der Fußbodenvitrine erzeugen ein Stimmungsbild, das Assoziationen an Kriegsheimkehrer, Wirtschaftswunder und Transitverkehr freisetzt.

Minimale Formsprache bei maximaler Wirkung des Materials

Von der Seite lässt sich die Wandvitrine im Querschnitt betrachten, sodass sich gewissermaßen ein Blick hinter die Kulissen eröffnet. In der Klarheit und Offenlegung der Konstruktions- und Präsentationsweise entsteht eine Art Sekundärwelt, bei der Mucha seine minimalistische Formsprache mit einer suggestiven Materialsprache kombiniert, die, anders als bei Joseph Beuys, keiner mystischen Aufladung bedarf und nie ihre Herkunft aus der Alltagswelt verleugnet.

Als sein eigener Archivar und Dokumentarist fügt Mucha dem Ensemble noch ein neues Ausstellungsplakat im wuchtigen Holzrahmen hinzu, welches das Motiv des Karussells im silbrigen Kirmesglitzerlook aufnimmt. Das Plakat als Bestandteil des Ausstellungsbetriebs und Vehikel der eigenen Musealisierung einzusetzen, gehört seit Jahren zu Muchas fortlaufendem Editions-Konzept, das sich im Vorraum in einer Blockhängung von sechs Ausstellungsplakaten ablesen lässt.

Mit seiner eigensinnigen Systematik, die das eigene Werk der ständigen Revision, Transformation und Expansion unterzieht, firmiert Reinhard Mucha in der Kunstwelt längst als „Der Mucha“, dem die Kunstsammlung NRW erst kürzlich in ihren beiden Häusern K20 und K21 eine umfassende Retrospektive widmete. Wer es nicht nach Düsseldorf geschafft hat, kann bei Sprüth Magers das Konzentrat einer Miniatur-Retrospektive sehen, bei der Mucha nach 35 Jahren eine weitere Runde auf seinem Verwaltungskarussell dreht.

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