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Der Konflikt in Syrien: Kein Asyl für Assad

Die Vereinten Nationen erleben gerade ein moralisches Fiasko im Nahen Osten. In Syrien scheint ein Bürgerkrieg nicht mehr einzudämmen. Nicht nur Politiker, sondern auch der Philosoph Bernhard-Henry Lévy fordern eine sofortige Militärintervention. Wie ist das Dilemma zu lösen, in dem sich die Weltgemeinschaft gefindet?

Die Nachrichten, die uns aus Syrien erreichen, sind empörend. Von Massakern an der Zivilbevölkerung ist die Rede, von exekutierten Jugendlichen, von Kindern, die als lebende Schutzschilde eingesetzt werden. Wenn nur die Hälfte von all dem zutrifft, haben wir es mit einem Fall zu tun, der das Eingreifen der Weltgemeinschaft notwendig macht. Aber das bringt Probleme mit sich: Können wir sicher sein, dass die Berichte wahr sind? Die syrische Regierung hat die Vorgeschichte früherer humanitärer Interventionen offenbar sorgfältig studiert. Sie gründeten sich auf Berichte und Bilder. Also hat sie dafür gesorgt, dass man aus Syrien lange Zeit weder das eine noch das andere bekam. Übertreibungen und Fälschungen sind in solchen Konflikten die Regel. Man weiß nicht, wem man glauben soll. Solange die Lage so unübersichtlich ist, sagen viele, sollte man sich besser heraushalten.

Inzwischen freilich sind UN-Beobachter im Land, und deren Berichte bestätigen die schlimmsten Vermutungen. Der befürchtete Bürgerkrieg ist in vollem Gange. Für Bürgerkriege ist charakteristisch, dass sich die Gewalt vor allem gegen Zivilisten richtet. Mit jedem Tag, den er länger dauert, frisst er sich tiefer in die gesellschaftliche Ordnung hinein, dementsprechend rückt ein Waffenstillstand in weite Ferne.

Wo Kofi Annans Friedensmission vor einigen Wochen vielleicht noch eine Chance zur Vermittlung hatte, gibt es inzwischen nur noch erbitterte Feindschaft. Wer einen Bürgerkrieg nicht im Anfangsstadium durch energisches Dazwischengehen beendet, wird zum hilflosen Beobachter eines Eskalationsprozesses, bei dem es kein unparteiisches Eingreifen mehr gibt und man sich nur noch auf die eine oder andere Seite schlagen kann. Am gestrigen Sonnabend teilte die UN nun mit, dass sie ihre Mission in Syrien abbricht (siehe Seite 2). Offenbar ist Annans Friedensplan nicht zuletzt daran gescheitert, dass es für ein Dazwischengehen bereits zu spät war. Einmal mehr haben die Vereinten Nationen den richtigen Zeitpunkt des Eingreifens verpasst.

Aber welche alternativen Optionen hätten die UN gehabt? Im Grundsatz ist die Weltgemeinschaft in der Syrienfrage zutiefst gespalten: Russland und China stützen das Regime von Diktator Assad, während sich der Westen und große Teile der arabischen Welt schrittweise auf die bewaffnete Opposition zubewegen. Angesichts der Abstimmungsverhältnisse im Sicherheitsrat würde jede Parteinahme am Veto Russlands und Chinas scheitern. Da sich das vorerst nicht ändern wird, sind die UN de facto aus dem Spiel, und Kofi Annan ist zum politischen Statisten geworden. Nach Ruanda, Srebrenica und Dafur ist Syrien für die Vereinten Nationen ein neues moralisches Fiasko, das ihr politisches Renommee weiter vermindert.

Bleibt also doch nur ein militärisches Eingreifen des Westens, auch ohne Mandat der UN, wie es von einigen schneidigen französischen Intellektuellen mit dem umtriebigen Bernard-Henry Lévy an der Spitze gefordert wird? Immerhin, Lévy kann darauf verweisen, dass die nichtmilitärischen Optionen erschöpft sind oder sich als wirkungslos erwiesen haben. Man hat es gegenüber dem Assad-Regime mit diplomatischen Mitteln versucht, hat wirtschaftliche Sanktionen eingesetzt, aber all dies blieb folgenlos oder zeitigte allenfalls kurzfristige Wirkung. Jetzt, so Lévy und die Seinen, bleibe nur noch die Alternative, militärisch einzugreifen und den Aufständischen zum Sieg zu verhelfen oder zuzuschauen und sich damit schuldig zu machen. Derart zugespitzt, hat diese Alternative etwas Bestechendes. Aber ist sie deshalb richtig?

Lévys wirkungsvollste Unterstützer sind jene Politiker, die im Gestus einer Bedeutsamkeit, die sie nicht haben, davor warnen, militärische Szenarien in dieser brandgefährlichen Region auch nur durchzuspielen. So geben sie den Machthabern und Generälen in Damaskus zu verstehen, dass sie außer Warnungen und leeren Drohungen von ihnen nichts zu befürchten haben. Gleichgültig, ob sie mit ihren Warnungen nun recht haben oder nicht: Solche Verlautbarungen sind, wenn sie gehäuft auftreten, ein Freibrief für das Regime in Damaskus.

So muss man sich fragen, an wen diese Warnungen eigentlich adressiert sind. Schließlich ist es ja nicht so, dass hierzulande schon die Triebwerke der Kampfflugzeuge warmlaufen und die Eingreiftruppen auf den Marschbefehl warten. Es handelt sich um das politische Ritual von Leuten, die für das Hintergrundrauschen des Politikbetriebs sorgen. Genau daraus aber wächst dem schneidigen Lévy große Aufmerksamkeit zu: endlich einer, der ausspricht, was gesagt werden muss.

Dummerweise liegt Lévy mit seinen Forderungen diesmal daneben. Selbst in Libyen, wo er den damaligen französischen Präsidenten Sarkozy zum militärischen Eingreifen bewegen konnte, war der Sieg der Aufständischen nicht gerade eine Lösung, die das Land und die Region befriedet hätte. Der Krieg in Mali ist ebenso eine Folge der libyschen Entwicklung wie die Verschärfung der Lage im Tschad. Auch ist die jetzige menschenrechtliche La- ge in Libyen nicht gerade befriedigend. Und Libyen war ein kleines Problem im Vergleich zu dem, das Syrien darstellt.

Selbst wenn es möglich wäre, der bewaffneten syrischen Opposition mittels Luftangriffen zu regionalen Erfolgen zu verhelfen, so wären diese Angriffe in urbanen Räumen doch mit vielen zivilen Opfern verbunden. Sie würden vom Regime als politische Waffe gegen die westlichen Eingreifer verwendet werden. Vor allem aber ist unwahrscheinlich, dass der Krieg lokal beschränkt bliebe. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden Israel und der Iran hineinzogen, auch könnte der Bürgerkrieg im Libanon von Neuem ausbrechen. Die humanitäre Intervention wäre dann das Startsignal zu einem Krieg im gesamten Nahen und Mittleren Osten.

Heißt das, es bleibt nur noch die Möglichkeit, die Aufständischen mit Waffen auszustatten und darauf zu vertrauen, dass sie irgendwann als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervorgehen? Vermutlich ist das längst der Fall, und einige westliche wie arabische Regierungen haben sich auf diese Weise eingeschaltet, ohne dass groß darüber geredet wird. Aber auf kurze und mittlere Sicht hat das zur Folge, dass der Bürgerkrieg eskaliert und die Zahl der Opfer steigt. Man mag aus politischen Gründen ein solches Vorgehen gutheißen, aus humanitären kann man es sicherlich nicht. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass alle humanitären Optionen erschöpft sind und man also auf das Ausbrennenlassen des Bürgerkriegs setzen muss.

Fatalerweise beobachten politische Akteure in aller Welt das Geschehen in Syrien sehr genau und fertigen daraus das Skript für Strategien in ähnlichen Konflikten an. Deswegen müssen die Vereinten Nationen und der Westen aus dem Fall Syrien lernen und Interventionsstrategien entwickeln, die oberhalb von Wirtschaftssanktionen und unterhalb einer Militärintervention angesiedelt sind. Wie könnten sie aussehen? Man sollte wohl noch einmal über Abschreckung nachdenken. Sie könnte in einer sehr viel härteren und konsequenteren Bestrafung all derer bestehen, die sich an Massakern gegen Zivilisten beteiligt haben – und zwar hinunter bis zu den kleinsten Schergen.

Und die UN müssen mit der den Regierungen auferlegten Schutzverantwortung ernst machen. Dazu gehört auch, ein Exempel zu statuieren an denen, die sich über die responsibility to protect so schamlos hinweggesetzt haben wie die Verantwortlichen in Syrien. Wer die Tötung von Zivilisten nicht präventiv verhindern kann, muss sie hinterher in einer Weise bestrafen, dass sich potenzielle Nachahmer sehr genau überlegen, ob sie sich auf einen solchen Weg begeben wollen. Das heißt aber auch: Es kann für Assad und seine Leute keine Asyllösung mehr geben.

Herfried Münkler lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung“ (Rowohlt Berlin, 2010).

Herfried Münkler

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