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Kultur: Kein Kronzeuge für Hitler

Die Sache ist ein Politikum: Wenn am Kultort Bayreuth ein Symposium über "Wagner und die Juden" stattfindet, veranstaltet von der dortigen Universität in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Tel Aviv und Jerusalem, dann darf man auf das Ergebnis gespannt sein.Schließlich dürfte es keinen zweiten Komponisten geben, der so sehr mit dem Antisemitismus in Verbindung gebracht wird wie Richard Wagner.

Die Sache ist ein Politikum: Wenn am Kultort Bayreuth ein Symposium über "Wagner und die Juden" stattfindet, veranstaltet von der dortigen Universität in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Tel Aviv und Jerusalem, dann darf man auf das Ergebnis gespannt sein.Schließlich dürfte es keinen zweiten Komponisten geben, der so sehr mit dem Antisemitismus in Verbindung gebracht wird wie Richard Wagner.

Wagners Antisemitismus ist jedoch eine äußerst mehrdeutige Sache - gerade da, wo es um das berüchtigte "Corpus delicti", die Schrift über "Das Judentum in der Musik"geht, sind die Meinungen gespalten.Nun ist Wagner zwar nicht der Erfinder des Antisemitismus, auch ist er nicht der erste, der antisemitische Affekte in das Gebiet der Musik trägt, doch unterscheidet sich die Schrift in einem wesentlichen Punkt von allen anderen zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit den "Musikjuden": Wagner betont seine unwillkürliche, naturgegebene Abneigung gegenüber den Juden.Man braucht kein Historiker zu sein, um an die Stereotypen zu denken, mit denen man hierzulande "den" Juden im 20.Jahrhundert belegte.

Als er 1869 die Schrift ein zweites Mal publizierte, da beging Wagner von neuem einen Sündenfall.Galt es im ersten Fall, das Pariser Musikleben mit Giacomo Meyerbeer, dem König der "banquier musikhurerei", zu treffen, so war es nun die Tatsache, daß sich in Deutschland die Juden zunehmend assimilierten.In einem neuen Nachwort werden Wagners radikalisierte Ansichten deutlich: eine gewaltsame Vertreibung der Juden erscheint nun nicht mehr als unwahrscheinlich.Jens Malte Fischer (München), wies darauf hin, daß in den letzten Lebensjahren mitnichten eine Abschwächung des wagnerschen Antisemitismus stattgefunden habe.Nun wurde er in der "Regenerationslehre" ins Philosophische gehoben.Die in der Forschung oft zitierte Abkehr vom Antisemitismus war danach lediglich eine Kritik am "vulgären Bierkneipen-Antisemiten" der 70er und 80er Jahre.

Auf den ersten Blick ein wüstes antisemitisches Pamphlet, in dem der "Untergang Ahasvers" prophezeit wird, ist die inkriminierte Schrift vielleicht nur in Zusammenhang mit Wagners gleichzeitigen "Zürcher Kunstschriften" verständlich.Udo Bermbach (Hamburg) verortet den Text in Wagners Ästhetik.Die Judenemanzipation ist, so betrachtet, vor allem eine Sache der (natürlich wagnerschen) Kunst.Glaubt man Peter Gay, dem New Yorker Historiker, so konnte Wagner, so sehr er es auch versuchte, niemals seinem Charakter entrinnen, der dem des Ahasver, des ruhelos umherziehenden Juden, ähnlich ist.Wenn Joseph Horowitz auf das Janusgesicht Wagners hinweist, so versteht man auch, warum gerade Wagner ungewöhnlich viele jüdische Sympathisanten hat.Der hypothetische jüdische Charakter eines Alberich oder Mime ist eben nicht reduzierbar auf ein Schwarzbild: "Der Antisemitismus ist nicht der einzige Gegenstand, der Wagner mit den Juden verbindet." Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch die These Wolf-Dieter Hartwichs (Heidelberg), wonach viele charakteristische Ideen des "Parsifal" Entsprechungen in der Kabbala, der jüdischen Geheimlehre haben.Bei Wagner scheint auch die scheinbare Paradoxie möglich, daß er, der das Judentum als religiöse und gesellschaftliche Erscheinung bekämpfte, an eine totale Integration des Judentums jenseits von religiösen, nationalistischen oder rassistischen Begriffen glaubte: im Sinne einer "ästhetischen Kabbala".

Man hätte heute weniger Probleme mit Wagner, wenn die Beziehung zu seinen jüdischen Zeitgenossen allein eine Frage der Kunst wäre.Doch nach dem Holocaust liest sich seine Schrift über das Judentum anders als 1850.Eine radikale Lesart von Wagners Äußerungen zum Judentum übt Paul Lawrence Rose (Pennsylvania State University): Folgt man ihm, so muß Wagners Antisemitismus im Licht der "Endlösung" problematisiert werden.Liest man Wagner historisch "von hinten", so kommt man zum Ergebnis, daß dessen "Doktrin der Auswerfung" im Sinne einer historischen Prophezeiung aufgefaßt werden muß.Von hier zu "Wagners Hitler" ist es dann nicht mehr weit.

So spekulativ und anfechtbar eine solche Wagner-Interpretation auch ist, so wenig kann man bestreiten, daß bestimmte Elemente seines schriftstellerischen Werkes förmlich dazu einluden, von der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie aufgegriffen zu werden.Dinah Porat (Tel Aviv) machte jedoch darauf aufmerksam, daß Hitler - wenn er sich auf Wagner bezog - niemals den Antisemiten Wagner zitierte.Es war stets der Künstler Wagner, der den Möchtegern-Künstler Hitler faszinierte, den an Wagner wohl vor allem die Ästhetisierung der Politik interessierte.Wagner ist - die Mehrzahl gerade der jüdischen Beiträge auf dem Symposium machte es deutlich - als Kronzeuge für den Vernichtungs-Antisemitismus des 20.Jahrhunderts kaum zu gebrauchen.Es bleibt jedoch ein Grauen vor den Untiefen der wagnerschen Äußerungen.Daß man sich erst jetzt, über ein halbes Jahrhundert nach dem zweiten Weltkrieg, in Bayreuth traf, wurde bedauert.Daß man sich aber gerade in Bayreuth traf, einem Ort, der, so Yirmiyahu Yovel (Jerusalem), "entkultisiert" werden müsse, fand Zustimmung."Wagner ist nicht nur ein Problem für die Juden, sondern auch für die Deutschen" - mit diesem Statement beschrieb Yovel das Ergebnis eines Symposiums, das seine Fortsetzung finden sollte.Am besten in Tel Aviv.

FRANK PIONTEK

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