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Interview: "Die Leute fühlen sich an der Nase gepackt"

Der österreichische Regisseur Michael Haneke über Brutalität und Horrorfilme – und wie man damit umgeht.

Herr Haneke, warum haben Sie sich dazu entschieden, „Funny Games“ als US-Remake noch einmal zu drehen?

Der Film hat damals in den USA das Publikum nicht erreicht. Und das Thema der Gewalt in den Medien ist heute aktueller denn je. Als das Remake-Angebot an mich herangetragen wurde, habe ich gedacht: Wenn ich noch einmal das Gleiche erzählen will, warum dann nicht Einstellung für Einstellung? Ich hatte nicht das Bedürfnis, etwas hinzuzufügen.

Gab es von Seiten der Produzenten Versuche, etwas an dem Konzept zu ändern?

Ich habe von Anfang an klar gesagt, dass ich das nur mache, wenn ich den Final Cut habe. Bei der Musik wurde versucht, statt John Zorn aus Publicity-Gründen Marilyn Manson einzusetzen. Aber sie hatten keine Möglichkeiten. Im Vertrag stand Final Cut und Shot-by-Shot-Remake.

„Funny Games“ versteht sich als Statement gegen den Gewaltkonsum im Kino. Glauben Sie, dass der Film dagegen gefeit ist, sadistische Bedürfnisse zu wecken?

Das ist eine Gretchenfrage. Ich glaube aber nicht, dass ein einzelner Film eine Gewaltvorlage sein kann. Die Summe der Gewaltpornografie führt zu einer Herabsetzung der Hemmschwelle. Man gewöhnt sich an Gewalt. Darin liegt die Gefahr.

Dennoch muss das Kino auch die Möglichkeit haben, die gewalttätige Realität zu reflektieren ...

Natürlich ist es notwendig, über Gewalt zu sprechen. Aber audiovisuelle Medien leben von Bewegung und Attraktion. Gewalt unattraktiv darzustellen, aber trotzdem ihr die Wucht zu lassen, die sie nun einmal de facto hat – das ist extrem schwierig. Das Mainstream-Kino entrealisiert, überdreht oder ironisiert Gewalt. „Pulp Fiction“ ist dafür ein Musterbeispiel. Wenn da der Kopf weggeblasen wird, herrscht ein Riesengelächter im Saal. Das ist perfekt gemachter Zynismus im Dienste der Verkaufbarkeit.

Ein britischer Kritiker hat behauptet, man könne „Funny Games“ in den USA auch als Rekrutierungsvideo für die „National Rifle Organisation“ verwenden ...

Ich hege den Verdacht, dass Leute, die so etwas schreiben, den Film absichtlich missverstehen wollen. Das ist so, als würde man einer Katze zusehen, wie sie eine Maus tötet. Dann kommt einer und sagt: Wieso schaust du das an? Natürlich bekommt der Betrachter ein schlechtes Gewissen und ist auf den sauer, der ihn auf die Brutalität des Schauspiels hingewiesen hat. Das ist der Effekt des Films. Gewisse Leute fühlen sich an der Nase gepackt, können das aber nicht akzeptieren und lassen ihre Wut dann an mir ab.

In welchem Regal soll „Funny Games“ in der Videothek einsortiert werden?

Ich hoffe, bei den Horrorfilmen. Aber ich befürchte, dass er in den deutschen Videotheken in der Arthouse-Ecke landet.

Fühlen Sie sich missverstanden, wenn Sie als Moralist eingeordnet werden?

Jede künstlerische Aktion ist eine moralische. Aber es hängt natürlich davon ab, wie man den Begriff definiert. Wenn ein Moralist aus postmodern-ironischer Sicht einer ist, der den Leuten oberlehrerhaft sagt, wo es langgeht, dann möchte ich keiner sein. Ist der Moralist hingegen einer, der seine Zuschauer ernst nimmt, dann lautet die Antwort: Ja.

Interview: Martin Schwickert

Michael Haneke, geboren 1942, lebt in der Nähe von Wien.  Wichtigste Filme: „Benny’s Video“ (1992), „Funny Games“ (1997), „Die Klavierspielerin“ (2001), „Caché“ (2005).

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