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Film: Mord in Manila

Die Bildrebellen: Wie philippinische Filmemacher den korrupten Staat bekämpfen – und großes Kino schaffen.

Es ist Regenzeit, Festivalzeit. In wenigen Tagen werden am Ende von „Cinemalaya“, dem wichtigsten Fest des philippinischen Kinos, die Sieger gekürt. Durch seine Präsenz auf Filmfestivals weltweit ist das philippinische Kino in den letzten Jahren ins Blickfeld des internationalen Publikums geraten. In keinem asiatischen Land ist die digitale Revolution von Filmemachern erfolgreicher umgesetzt worden und hat eine tiefgreifendere Veränderung der Filmindustrie bewirkt. Eine neue, eigene Filmkultur ist entstanden.

International bekannte Regisseure wie Lav Diaz, Brillante Mendoza, Jeffrey Jeturian oder Khavn de la Cruz filmen mit bescheidenen finanziellen Mitteln, aber mit atemberaubender Schnelligkeit. Ihr Credo lautet, unter allen Umständen die Kamera am Laufen zu halten und die Wirklichkeit genau einzufangen. Beobachter sprechen von einem neuen goldenen Zeitalter für das philippinische Kino.

Eine Umkehrsituation ist entstanden: Die Kräfte des digitalen Kinos haben mit einem Wahrnehmungsdefizit in ihrer Heimat zu kämpfen, während sie auf internationalen Filmfestivals gefeiert werden. Für Mike Sandejas, einen publikumsorientierten Regisseur, der mit seinen Musikfilmen „Tulad ng dati“ (2006) und „Dining sana kita“ (2009) ausreichend Zuschauer in die Kinos locken konnte, ist Filmemachen auf den Philippinen ein Extremsport, den man sich nur leisten kann, wenn man seinen Haupterwerb in der Medienindustrie hat.

Der Regisseur und Musiker Lav Diaz ist einer, der weiß, was gespielt wird. „Cool, man! Rock’n’Roll, man! Wazak!“ Das ist ebenso aufrichtige Lebenshaltung wie Taktik, die unzumutbaren Verhältnisse auszuspielen. Zum Beispiel mit dem Genrefilm „Jesus, Revolutionary“ (2002), einer der wenigen politischen Utopien, die bislang auf den Philippinen gedreht wurden. Und sein Riesenwerk „Death in the Land of Encantos“, das 2007 auch auf dem Festival von Toronto lief, hat dazu beigetragen, dass nun Vertreter des Mainstreams wie der Regieveteran Mel Chionglo offene Kritik üben mit Filmen wie „Bente“ (2009).

Metro Manila, Quezon City: In einer Seitenstraße, die den Hang hinaufführt und in einer Sackgasse endet, liegt das Haus des Malers Dante Perez. Er ist ein Freund von Lav Diaz. Unsere kleine Gesellschaft, eine „Barkada“, eine Gruppe Gleichgesinnter, zu der der Maler Raul Arellano, der Experimentalfilmer und Comic-Künstler Roxlee, die Produktionsleiterin Kintana, der Nachwuchsregisseur Will Fredo und der enzyklopädisch beschlagene Filmologist und zweite Vorsitzende der nationalen Filmförderungskommission Teddy Co gehören, hat sich von einer nahegelegenen Bar zu Perez’ Domizil bewegt, um dort weiter der Nacht entgegenzutrinken.

Man macht es sich auf improvisierten Sitzgelegenheiten gemütlich – soweit das geht in einer Waschbeton-Einfahrt. Im Haus ist es zu heiß. Auf der Straße hängen junge Männer herum und versuchen, die Langeweile der Nacht zu vertreiben, bevor die Langeweile des Tages kommt. Es gibt nichts zu tun für sie. Und es wird nichts zu tun geben. Zu den Gewinnern der Globalisierung gehören sie nicht. Sie besitzen das zweifelhafte Privileg, vom Weltmarkt nicht gebraucht zu werden. Wir sitzen hinter einem schmiedeeisernen Zaun. Nicht, dass er unüberwindlich wäre. Es ist eher eine Sache sich nur wenig überschneidender Lebenskreise. Auf den Philippinen ist man bereit, die Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Aber manchmal ist das Maß voll. Dann kommt es zur Explosion. Aber nicht heute.

Manila ist mal wieder fast im Sturzregen abgesoffen. Nun funkeln die Sterne. Noch hat sich die schwüle Hitze des Tages nicht verzogen. Trinken. Reden. Schwadronieren. Bei der Analyse der Machtverhältnisse heißlaufen. Auch leicht schwankend haben wir noch festen Boden unter den Füßen. Beton. Den haben andere in den Köpfen. In Manila ist es wieder so weit: die Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, kurz GMA, bei ihren Landsleuten unbeliebter als der verhasste Diktator Marcos, wird ihre Regierungserklärung abgeben. Wer das nicht weiß, erkennt es an den zahlreichen Straßensperren.

Auf einer Wahlkampfveranstaltung wird der wegen Korruption aus dem Amt gejagte Joseph Estrada immer noch als „Mr. President“ bezeichnet. Eigentlich sollte er, der in erster Karriere der schmissigste Haudegen des philippinischen Actionkinos war, lebenslänglich hinter Gittern sitzen. Aber das nimmt man hier nicht so genau.

Mit so etwas kann man großes Kino machen. Jerold Tarong und Ruel Dahis Antipuesto haben das erkannt und für ihren Debütfilm „Confessional“ (2007) genutzt. In dieser Mocumentary, die das korrupte politische System der Philippinen mit seinen eigenen Mitteln bloßstellt, schwadroniert ein einflussreicher Kommunalpolitiker über seinen schamlosen Amtsmissbrauch, der ihn lange hinter Gitter bringen müsste – allerdings nicht auf den Philippinen!

Die Übergänge von legal zu schwerkriminell sind im Archipel der 7000 Inseln fließend. Wie geschmiert funktionieren die Wege in beide Richtungen. Wer die Gesetze zu genau nimmt, wird aus dem Spiel entfernt – mit den Füßen voran. Über 900 Menschenrechtler, Gewerkschaftler, linke Aktivisten und Journalisten wurden seit dem Amtsantritt von GMA vor neun Jahren von Todesschwadronen ermordet. Doch diese offiziell bestätigte Zahl ist nur die Spitze des Eisbergs.

Allein in Davao City, der drittgrößten Stadt der Philippinen sind in den letzten zehn Jahren über 800 Kleinkriminelle, Mitglieder von Jugendbanden und Straßenkinder außergerichtlich hingerichtet worden. Viele sind bereit, dies zu akzeptiert. Das Land ist geprägt von einer Macho-Kultur. Volksvertreter und Gesetzeshüter lassen sich als eine Mischung aus „Dirty Harry“ und „Punisher“ beschreiben. Die Menge philippinischer Selbstjustiz-Actionfilme zeugt hiervon. Kein Wunder, dass es in jedem Provinzkaff von selbstgerechten Saubermannfiguren wimmelt. „Engkwentro“ (2009) greift dieses Problem auf. Pepe Diokno, der 21 Jahre alte Regisseur, ist beunruhigt. Seine Befürchtungen, selbst ins Schussfeld zu geraten, sind gerechtfertigt. Dennoch lässt er sich nicht einschüchtern. Wie viele Regisseure seiner Altersgruppe will er die permanenten Verletzungen der Menschenrechte nicht weiter hinnehmen. Zumindest im Westen stößt er mit seiner Kritik auf offene Ohren: Er bekam eine Einladung zu den Filmfestspielen in Venedig.

Auf den Philippinen ist Politik Showgeschäft – meist überdrehtes Melodram, oft unterstes Schmierentheater, nicht selten aber auch so blutig wie eine Grand-Guignol-Aufführung. Die Philippinen sind ein Operettenstaat. In diesem Klima gedeihen kontroverse und extreme Filme wie Brillante Mendozas „Tirador“ (2007) oder „Serbis“ (2008).

Allerdings sollte man sich als Filmemacher nie zu weit aus dem Fenster lehnen. Auch das machen die Werke junger Filmer wie „Anak ni tinapa“ (2005) von Jon Red, „Rotonda“ (2006) von Ron Bryant, „Carnivore“ (2008) von Ato Bautista oder jüngst der grauenvolle „Kinatay“ (2009) von Mendoza so bemerkenswert. Alle handeln davon, wie Korruption und ihre gewalttätigen Folgen alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen und ihre Fundamente untergraben.

Verblendung und Realitätsverleugnung haben auf den Philippinen Tradition. Als Reaktion ziehen die Bildrebellen los und filmen ihre Sicht der Dinge. Man kann diese Entwicklung unter dem Label Neo-Slumfilme zusammenfassen. Sie knüpft an neorealistische und sozialkritische Filme der 1970er Jahre an.

Unter scharfer Beobachtung eines ganz anderen Publikums stehen politisch engagierte Dokumentarfilmer. So etwa Ditsi Carolino. In „Lupang hinarang“ (2009) hält sie den durch Gandhi inspirierten Protestmarsch von enteigneten Bauern zum Präsidentenpalast in Manila fest und schildert den Widerstand gegen die Gewalt der auch vor Mord nicht zurückschreckenden Zuckerbarone. Durch solches Engagement wird man schnell als Mitglied einer linken Rebellenbewegung diffamiert und potenzielles Ziel rechter Todesschwadronen. Die progressiven Medienaktivisten der Gruppe „Southern Tagalog“ leben besonders gefährlich. Nicht nur werden ihre Filme von der Zensur verboten. Eines von vielen schrecklichen Beispielen sind die Erlebnisse des Filmemachers Virgilio „King“ Catoy. Er wurde während der Recherchearbeiten zu einer Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen von Militärs gekidnappt. Zwar wurde er nach einer Scheinexekution wieder freigelassen. Doch zwei seiner Begleiter fand man ermordet auf.

Der Morgen dämmert über dem Aurora Boulevard in Quezon. Doch die Debatte wird weitergeführt. Ende Juli ist Corazon Aquino, Ikone der friedlichen Revolution, die zum Sturz des Diktators Marcos führte , und verehrte Ex-Präsidentin der Philippinen gestorben. Das Land ist in Aufregung und Trauer. Die Hoffnungen richten sich auf Ed Panlilio, einen Priester, der das höchste Amt anstrebt. Ein seltsamer Widerspruch besteht, wenn Lav Diaz über diese Dinge spricht: Er scheint gelassen, selbst wenn die Wogen der Empörung höher schlagen. Doch man spürt einen heiligen Zorn: „Mann, wir brauchen eine neue Revolution!“

Axel Estein

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