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Mutter-Sohn-Drama „Kein Wort“ im Kino: Ein schwelender Verdacht
Im Psychodrama „Kein Wort“ schickt Regisseurin Hanna Slak eine Dirigentin mit ihrem Sohn auf eine einsame Insel. Deren Krise findet ihren Widerhall in schroffen Klippen und den Klängen von Gustav Mahler.
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Das Adagietto kennt jeder, den Trauermarsch schon weniger: Gustav Mahlers Fünfte ist von abgrundtiefer Verzweiflung geprägt. Die Symphonie lässt sich als turbulente Manifestation einer Existenzkrise lesen. Da passt es durchaus, dass Regisseurin Hanna Slak die Fünfte in ihrem Mutter-Sohn-Drama „Kein Wort“ wie eine Hauptfigur auftreten lässt, ob sie nun in Orchesterproben erklingt, per Kopfhörer oder aus dem Autoradio.
Die Musik fungiert hier jedenfalls nicht als Soundtrack, sondern als Protagonist einer Geschichte über das Schweigen zwischen zwei Menschen, deren Seelenverwüstung auf der Tonspur umso deutlicher zum Ausdruck kommt. Im On Resignation, im Off wildes Aufbegehren.
Nina (Maren Eggert) ist Dirigentin, das bevorstehende Konzert mit der Fünften ein wichtiger Karriereschritt. Mäzene, Sponsoren, die Konkurrenz, alle lauern darauf. Logisch, dass die alleinerziehende Mutter keine Zeit für ihren halbwüchsigen Sohn hat. Der 13-jährige Lars (Jona Levin Nicolai) ist verstummt, er lässt vor dem Frühstück lieber seine Drohne zur klavierspielenden Mutter fliegen.
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Als sie ihn vor der Schule absetzt, ahnt man die Ursache seiner Verstörung: Das Foto der tragisch ums Leben gekommenen Schulkameradin Clara steht neben dem Eingang. Alsbald stürzt Lars aus einem Klassenfenster. Unfall? Suizidversuch? Wie starb eigentlich Clara, und was hat Lars mit ihrem Tod zu tun?
Kein Wort fällt darüber zwischen Mutter und Sohn, als sie sich von München an den Atlantik aufmachen, ins Ferienhaus auf einer abgelegenen Insel. Mahlers Musik kündet umso unmissverständlicher von Tod, Trauer, Wut und Verzweiflung. Der Gedanke an Cate Blanchett als Philharmoniker-Chefin in „Tár“ kommt einem dabei nicht von ungefähr beim Anblick der dirigierenden Maren Eggert in den Sinn: Die in „Kein Wort“ verwendete Aufnahme stammt von den Berliner Philharmonikern.
Konflikt zwischen Mutter und Sohn spitzt sich zu
Auch die Natur in der winterlichen Jahreszeit spielt eine Hauptrolle. Schroffe Felslandschaft, schwarze Klippen, noch schwärzere Gewitterwolken, verlassene Buchten und die wenigen Menschen als Schattenrisse: Kamerafrau Claire Mathon („Saint Omer“) und Editorin Bettina Böhler („Hannah Arendt“, „Roter Himmel“) sorgen mit atmosphärisch dichten, elliptisch montierten Aufnahmen für subtile, manchmal auch überdeutliche Spannung. Der schmale Felsenpfad führt gefährlich nahe am Abgrund entlang, ein Unwetter droht, an Abreise ist nicht mehr zu denken. Der Konflikt zwischen Mutter und Sohn spitzt sich zu.
Ahnungen, Mutmaßungen, ein schwelender Verdacht, zündelnde Unterstellungen: Lars spielt gern mit dem Feuerzeug, die Mutter spielt mit dem Feuer einer rabiaten Konfrontation. Gut, dass die in Berlin lebende Regisseurin Hanna Slak in ihrer deutsch-slowenisch-französischen Koproduktion (uraufgeführt 2023 in Toronto) vieles in der Schwebe lässt.
Manchmal ist Heilung unmöglich
Nicht nur die Wahrheit über Claras Tod und Lars’ Fenstersturz, sondern auch bei der Gemengelage zwischen Nina, Lars und der Inselladen-Betreiberin (Maryam Zaree) mit Tochter Gwen (Juliane Siebecke). Maren Eggert kennt man aus Filmen wie „Ich war zuhause, aber …“ oder „Ich bin dein Mensch“ ohnehin als Schauspielerin, die etwas Nüchtern-Pragmatisches ausstrahlt, deren blasses Antlitz jedoch immer geheimnisvoll bleibt.
Manchmal klingelt das Telefon an der roten Säule in der Bucht, es klingelt ins Leere: eine allzu explizite Chiffre. Es kommt nicht darauf an, was genau geschehen ist, sondern darauf, offene Ohren für den Kummer der anderen zu haben, so das unausgesprochene Fazit.
Der Sturm bleibt am Ende aus. Ein Boot segelt ins Meer, Lars hat ihm den Namen Clara gegeben. Das Boot ist kaputt, man kann es nicht reparieren, hatte er seiner Mutter zuvor trotzig widersprochen. Manchmal ist Heilung unmöglich. Aber zur Not lässt sich einiges reparieren, auch in kaputten Familien. Die Maestra-Karriere braucht trotzdem nicht zu warten.
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