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Damon

© promo

Aktueller Kinostart: Versöhnung auf dem Rasen

Eine Nation wächst zusammen im Sportstadion: Clint Eastwoods "Invictus" huldigt Mandela und Südafrikas Rugby-Mannschaft.

Da ist dieser schwarze Junge, er schleicht um das Polizeiauto herum. Das allein wäre vor ein paar Jahren in Südafrika schon Grund genug gewesen, ihn den Stock spüren zu lassen und für ein paar Tage in eine Zelle zu sperren. Doch die Zeiten haben sich geändert im Südafrika des Jahres 1995. Die weißen Polizisten stehen vor ihrem Auto und lauschen einer Radio-Übertragung, es geht um Sport. Weißen Sport. Rugby. In ein paar Minuten werden sie den schwarzen Jungen auf ihre Schultern nehmen und in die Luft werfen, einer setzt ihm eine blaue Polizeikappe auf. Es ist die symbolische Krönung in den letzten Minuten von „Invictus“, Clint Eastwoods Hommage an Nelson Mandela.

Die Szene mit dem schwarzen Jungen und den weißen Polizisten steht am Ende des Films, und man kann sie ruhig verraten, ohne dem Film etwas von seiner Spannung zu nehmen. Wissen ja eh alle, wie es ausgehen wird. Südafrikas Rugby-Mannschaft wird gegen alle Erwartungen Weltmeister, bejubelt von Schwarz und Weiß. Eine Nation wächst zusammen im Sportstadion.

Der Weg dorthin ist im Kino 134 Minuten lang, und er beginnt mit einer Szene des Nebeneinanders. Links eine öde Lehmwüste, schwarze Kinder in zerrissenen Hosen und Hemden darauf, sie tragen keine Schuhe und jagen einem Fußball hinterher. Auf der anderen Seite ist der Rasen wohlgepflegt, weiße Buben in hübschen Trikots spielen Rugby. Das Auto kommt näher, die schwarzen Kinder rennen zur Straße, sie tanzen und lachen und singen. Von der anderen Seite schauen die Weißen hinüber, einer fragt seinen Trainer: „Was ist das?“ – „Das ist dieser Mandela, dieser Terrorist, den haben sie rausgelassen. Diesen Tag musst du dir merken, das ist der Tag, an dem unser Land vor die Hunde ging.“

Südafrika ist nicht vor die Hunde gegangen, auch wenn es immer wiederkehrende Fernsehbilder voller Kriminalität suggerieren wollen. Daran ist nichts schönzureden, und doch negieren diese Bilder, dass es schon einmal sehr viel schlimmer stand um Südafrika. Zu Beginn der Neunzigerjahre, als dem Land ein Bürgerkrieg drohte. Hier die rechtsgerichteten Weißen, denen die Regierung de Klerk als Verräter galt und die über Waffen und Truppen verfügten. Dort zornige Schwarze, die auf Rache sannen für die demütigende Apartheid und die keinesfalls alle auf der versöhnenden Linie ihres Anführers standen. Wer mag sich schon ausmalen, was geschehen wäre, hätte Südafrika einen Führer wie Robert Mugabe gehabt und nicht Nelson Mandela, der mit seiner Weisheit und seinem Charisma den Weg wies zur Versöhnung. Davon handelt „Invictus“.

Es ist kein Sportfilm. Clint Eastwood hat der Versuchung widerstanden, über Gebühr schwitzende Leiber und brechende Knochen zu inszenieren. Es ist auch kein politischer Film und keiner über Nelson Mandela, dafür ist das nun bald 92 Jahre währende Leben des vielleicht bekanntesten Mannes der Welt zu erdrückend und vielschichtig. Eastwood beschränkt sich auf ein herausragendes Ereignis zu Beginn von Mandelas Präsidentschaft. Die Rugby-Weltmeisterschaft 1995 in Südafrika.

Morgan Freeman spielt Mandela, und er trifft dessen Gestik und alle Widerstände überwindende Herzlichkeit so gut, dass man schon nach ein paar Minuten vergisst, dass da gar nicht Mandela persönlich über die Leinwand wandelt. Sein Gegenpart ist Francois Pienaar, Kapitän der Springboks, wie die weißen Südafrikaner ihre Rugby-Nationalmannschaft nennen. Pienaar ist ein typischer Vertreter jener modernen Afrikaaner, die sich nicht als Rassisten sehen, weil sie doch nett sind zum schwarzen Hausmädchen. Das trennende Prinzip der Apartheid aber stellen sie nicht infrage. Matt Damon spielt mit sparsamer Schüchternheit den blonden Rugbyhünen, der, fasziniert von der Aura Mandelas, die Wagenburg des weißen Spiels öffnet. Über Rugby treiben Mandela und Pienaar die südafrikanische Einigung voran.

In einer Szene erzählt Mandela, wie sie auf der Gefängnisinsel Robben Island bei den Radioübertragungen immer die Gegner Südafrikas angefeuert und wie wütend die Gefängniswärter darauf reagiert hätten. Auf Robben Island heckten Mandela und seine Vertrauten die Strategie aus, die den weißen Südafrikanern so deutlich bewusst machte, was die Welt von ihnen und der Apartheid hielt. Mandelas ANC hatte jenen Sportboykott inszeniert, der die Springboks seit Beginn der Achtzigerjahre von internationalen Vergleichen ausschloss.

Zur Unterstützung des friedlichen Wandels hat der Rugby-Weltverband die WM 1995 nach Südafrika vergeben, und Mandela setzt alles daran, sie nicht nur sportlich zu einem Erfolg zu machen. Das wirkt manchmal ein wenig bemüht, wenn Mandela sich so gar nicht für die Regierungsgeschäfte interessiert, weil er nur Rugby im Kopf hat. Muss er wirklich zu dieser Reise nach Fernost? Kann diese Handelsdelegation nicht ein wenig warten? Ach, sind das die Richterernennungen für die Provinz Freistaat?

Ganz so wird es sich nicht abgespielt haben. Aber es bleibt Mandelas historisches Verdienst, dass er erkannt hat, wie wichtig es für das Zusammenwachsen der Regenbogennation war, den Weißen Stolz und Selbstachtung zu lassen. Deswegen kämpft er mit all seinem Prestige darum, dass die Rugby-Mannschaft weiter ihr Wappen mit dem Springbok und die grün-goldenen Trikots tragen kann. Insignien der weißen Macht. Insignien der Apartheid.

Doch Mandela gibt nicht nur, er fordert auch. Die Springboks trainieren in den schwarzen Townships, sie besichtigen Robben Island. Vor dem siegreichen Finale singen Rugbyspieler, schwarze und weiße Zuschauer alle auf Xhosa die neue Nationalhymne „Nkosi sikelel’ iAfrika“. Mandela trägt das grüngoldene Trikot der Springboks. Auch im Kino sind es die der Wirklichkeit entlehnten Symbole, die am stärksten wirken.

Invictus, unter anderem im Cinestar, im Sony Center (OF) und Cinemaxx am Potsdamer Platz

 Sven Goldmann

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