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Frederik Hanssens Kolumne „Der Klassiker“: Der nette Virtuose von nebenan
Der Pianist Jan Lisiecki steht seit seinem 15. Lebensjahr im Rampenlicht. Seine künstlerische Entwicklung mitzuverfolgen, ist die pure Freude.
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Seit fast 33 Jahren schreibe ich nun schon Musikkritiken, und eines ist mir im Laufe der Zeit immer klarer geworden: Es ist zweifellos ein Privileg, die Stars der Klassik bei glamourösen Opernpremieren und hochkarätig besetzten Konzerten live erleben zu dürfen – der schönste Aspekt des Berufes aber ist die Möglichkeit, junge Talente zu entdecken und ihre künstlerische Entwicklung dann berichtend zu begleiten.
Fantastische Künstler wie zum Beispiel Jan Lisiecki. 2012 saß ich beim Berlin-Debüt des damals 17-jährigen kanadisch-polnischen Pianisten im Publikum. Und habe seitdem fast keinen seiner Auftritte hier verpasst.
Überschießende Spielfreude
Lisiecki ist keiner von diesen Ich-hab-die-schnellsten-Finger-Virtuosen und auch kein interpretatorischer Egomane, der die Werke mit seinen persönlichen Gefühlen überwölbt (ich nenne keine Namen). Was ihn antreibt, ist, dem Geist der Werke so nah wie möglich zu kommen, den gedruckten Notentext zu verlebendigen.
Das war am Dienstag wieder aufs Schönste zu erleben, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, zuerst im Tripelkonzert von Ludwig van Beethoven, wo er dem Cellisten Daniel Müller-Schott und dem Geiger Tomo Keller ein aufmerksamer Mitspieler war. Nach der Pause stürzte er sich dann mit geradezu überschießender Spielfreude in Beethovens 5. Klavierkonzert.
Jan Lisiecki performt nie für den Saal, sondern er musiziert für Menschen, die bereit sind, die Stücke genauso ernst zu nehmen wie er. Besonders begeistert mich dabei stets seine Fähigkeit, komplexe harmonische Entwicklungen so zu spielen, dass sie auch für musikwissenschaftliche Laien sinnlich erfahrbar werden.
Zum Glück hat er inzwischen auch seine Oberkellner-Phase hinter sich gelassen, also die Kombination aus schwarzer Fliege und weißem Hemd gegen zeitgemäßere Outfits ausgetauscht. Wobei er eisern am Smoking als Grundausstattung festhält. Trotzdem wirkt er auf der Bühne weiterhin jungenhaft, uneitel und sympathisch. Eben wie der nette Virtuose von nebenan.
Jan Lisiecki feiert in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag. Künstlerisch ist von ihm also noch viel zu erwarten. Denn anders als bei Sängerinnen, Geigern oder auch Holzbläsern gilt für Pianisten-Karriere ja das „Open End“-Prinzip. Wenn das keine herrlichen Aussichten sind.
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