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Kultur: Kleiderordnung

Kühl, cool, eingefroren: Die Welt der Mode-und Kostüm-Designerin Claudia Hill ist schlicht. Trotzdem wird daraus manchmal großes Theater

Merkwürdig gekrümmt ragt ein Arm in die Luft, vom Rest des Körpers abgewinkelt wie ein Zweig. Ein einzelnes Bein hat sich verbogen und schräg von der Körperachse weggedreht. In bizarren Verrenkungen winden sich die Tänzer im Frankfurter Bockenheimer Depot auf dem Bühnenboden. Irritierend destruktiv wirkte William Forsythes letzte Choreographie „Decreation“, mit der der Tanzvisionär voriges Jahr seine Theaterarbeit in Frankfurt beendete.

Ein ausgefeiltes Bühnenbild benutzte er damals nicht – einzig ein breiter Tisch mit weißer Tischdecke schmückte den sonst kahlen Raum. Dieser reduzierte Stil fand sich auch in den Kostümen der Tänzer wieder. Fast wie gewöhnliche Kleidung fern jeder Theatralik sahen die schlichten Hosen und Oberteile aus: Graue Hemden, weite, sackartige Hosen, schlicht geschnittene Kleider in Brauntönen bar modischer Extravaganzen. Entworfen hatte die Kostüme eine in Erlangen geborene junge Mode-Designerin: Claudia Hill.

Dass sich die profane Linie mit der großen Geste verbindet, ist nicht ungewöhnlich für Hills Arbeiten. Immer wieder verschwimmen die Grenzen zwischen Mode-Design, Theater und bildender Kunst. Vor ein paar Monaten ist die 35- Jährige nach Berlin-Mitte umgezogen und hat dort ein eigenes Geschäft eröffnet. In ihrem „Claudia Hill Store“ verkauft sie Mode, zeigt Fotografie, Malerei und Objektkunst. Etwas abseits vom Trubel der Oranienburger Straße, zwischen Galerien und grell-bunten Klamotten-Läden stößt man auf ihr ausgesprochen schlicht dekoriertes Schaufenster. Hier fällt ein solcher Purismus sofort auf. Und auch auf Interieur hat die Designerin beinahe ganz verzichtet, nur die Umkleidekabine fällt aus dem Rahmen: Ein winziger, runder Raum, zusammengesetzt aus weißen Hemden. Lässt sich eine Kleidung, die nach nichts aussieht, in Berlin überhaupt verkaufen? Ein Ort des Understatement ist diese Stadt nicht.

Claudia Hill ist keineswegs zufällig an die Spree gelangt. Viele Jahre lebte sie vorher in New York, absolvierte dort eine Tanzausbildung und belegte nebenher Kurse an der Parsons School of Design. Dass sie nach Europa zurückgehen würde, stand für die Designerin erst nach einem längeren Japan-Aufenthalt fest. London oder Paris haben sie jedoch nie gereizt. „Da ist schon alles fertig und abgeschlossen, es gibt keine offenen Strukturen mehr“, sagt sie. An Berlin reizte sie der provisorische Charakter im Stadtbild, das für ihr Schaffen nicht nur Kulisse ist. Häufig setzt sie architektonische Elemente in ihren Entwürfen um. Manchmal genügt ein Dach und es wird ein Kleid daraus.

Saisonale Trends und ästhetische Perfektion interessieren Claudia Hill nicht. Ihr kommt es auf einen individuellen, persönlichen Stil an. Und genau das hat sie mit Kunst gemeinsam, die auch immer wieder andere Themen und Motive bearbeitet, ohne sich ihnen stilistisch anzupassen. Ihre Kleider wirken wie dreidimensionale Versuchsanordnungen, unvollendet. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sie Details, Nähte, dezente Applikationen, die keinerlei Funktion haben. Taschen prangen plakativ mitten auf dem Bauch, Rocksäume verlaufen asymmetrisch und Handschuhe werden zu überdimensionierten Fäustlingen.

Inspirieren lässt sich die Designerin dabei auch von der Natur: Organische Formen fließen in ihre puristischen Kreationen ein, Blatt-Maserungen tauchen als Muster auf, erdige Braunschattierungen beeinflussen das Farbrepertoire ihrer Kollektionen. Immer wieder baut Hill natürliche Veränderungsprozesse in ihr schöpferisches Werk mit ein und demonstriert, wie wenig ihr an den rasanten Zyklen der Branche gelegen ist: Zur Eröffnung ihres „Store“ fror sie einen Teil ihrer Kollektion in überdimensionale Eisblöcke ein. Aus den so verpuppten Stoffen sollte sich nach und nach ein Ärmel oder ein Hosenbein herausschälen. „Bilder brauchen Zeit, um sich zu entfalten“, meint Claudia Hill.

Wenn Hill ihre Kleider präsentiert, sieht das nicht wie eine Modenschau aus. Eher wie ein Happening. Die Performance erlaubt ihr, erst allmählich visuelle Eindrücke zu entblättern. So entwickelte Claudia Hill in Singapur einmal eine Installation, bei der ein Kleid aus Draht in der Luft hing und suggerierte, dass sein Träger eben erst den Raum verlassen habe. Flüstertöne wurden per Tonband eingespielt.

Was wissen wir von einem Menschen, wenn wir nur sein Äußeres betrachten? Was sagen Kleider über Leute? Hill entzieht ihr Wirken dem Diktat der Distinktion. Als sie jüngst in Berlin eine Performance nach Bewegungsinstruktionen von William Forsythe initiierte, ließ sie dessen choreographische Anleitung ins Innenfutter der neuen Kollektion einnähen. In solchen Reminiszenzen schwingt etwas von der Faszination für die Bühne mit, der sie einst ihr Leben widmen wollte. Dass sie ihr Tanz-Studium resigniert abbrach, hat sie verwunden. Eigentlich stehe sie überhaupt nicht gern im Rampenlicht, sagt Hill heute, sondern viel lieber hinter der Bühne. Auch wenn diese Bühne nun aus einer ganzen Stadt besteht.

Claudia Hill Store, Auguststr. 26a, Mitte. Vom 12 bis 14. Januar präsentiert Hill ihre neue Kollektion in Tokyo.

Anne Moschinski

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