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Kultur: Kleine Welt

Frühe Fotografien von Heinrich Kühn bei Kicken

Stand:

„Wie gemalt!“ möchte der Betrachter angesichts der Porträts, Stillleben und Landschaften von Heinrich Kühn ausrufen, die die Galerie Kicken Berlin wiederentdeckt hat. Schon einmal, 1982 in Köln, präsentierte Kicken den vor dem Ersten Weltkrieg und auch noch in den Jahren danach hoch geschätzten, später in Vergessenheit geratenen Meister des Piktorialismus. Die damalige Ausstellung umfasste 100 Fotografien (der Katalog ist noch erhältlich), heute sind es lediglich vierzehn. Aber mehr würden wegen ihres großen Formats an den Wänden der Galerie auch kaum Platz haben.

Märchenhaft muten die Preise an. Zwischen 35 000 und 100 000 Euro werden pro Bild verlangt. Kenner halten den Fotografiemarkt seit langem für überhitzt, doch angesichts der einzigartigen Schönheit dieser der Malerei sehr nahen Arbeiten scheinen die Höchstpreise verständlich. Kühn, 1866 in Dresden geboren, 1944 bei Innsbruck gestorben, orientierte sich an Vorbildern der bildenden Kunst. Eine Frau am Spiegel, Kinder allein oder in malerischer Gruppierung, Blumenstillleben und vor allem die Landschaften mit flammendem Horizont und einsamen Gehöften – man meint, ähnliche Genreszenen schon einmal im Kunstmuseum gesehen zu haben. Doch dann überraschen die sorgfältig komponierten Aufnahmen durch ihre ungewöhnlich harmonische Farbgebung. Oft dominieren braune Töne. Aber auch für Gelb (wie bei der „Südlichen Landschaft“ von 1908) oder Grau und kaltes Blau (Schloss Nymphenburg mit seinen Parkanlagen) konnte Kühn sich begeistern.

Es erstaunt, dass Carl Christian Heinrich Kühn, so der vollständige Name, eine lange Freundschaft mit dem Amerikaner Edward Steichen (1879–1973) verband. Kühns einfühlsame farbige Impressionen, Steichens gestochen scharfe, schwarzweiße Künstlerporträts – wie ging das zusammen? Aber in seinen frühen Jahren, noch in Europa, schwankte auch Steichen zwischen Malerei und Fotografie und war Kompromissen nicht abgeneigt. Erst in Amerika entwand er sich der Macht der Tradition, was Kühn nie gelang und was er auch nie wollte.

Mit seiner Fortentwicklung des von dem Franzosen Robert Léon Demachy erfundenen farbigen Gummidrucks schrieb Kühn eine Seite Fotografiegeschichte. Im Gegensatz zu Steichen und Alfred Stieglitz, dem anderen amerikanischen Freund, der mehrere Arbeiten Kühns in die berühmte Zeitschrift „Camera Work“ aufnahm, ging er freilich nie einen Schritt weiter. So beharrte er in dem Buch „Über die Technik der Lichtbildnerei“, das 1921 erschien: „Unter Photographie versteht man eine in lückenlos ineinander fließenden Tönen ausgedrückte bildliche Darstellung, hervorgerufen oder vermittelt durch Wirkungen des Lichts.“

Doch nicht das Zusammenfließen des Lichts, sondern der Kontrast sollte für die moderne Fotografie bestimmend werden. Nicht das schöne Gefühl, das viele Aufnahmen von Heinrich Kühn ausstrahlen, interessierte auf Dauer, sondern was Fotografen sehen und erkennen: der authentische Eindruck. Womöglich gerade darum und weil sie zwar nicht mehr in dieses Schema passen, dafür aber eine tief sitzende Sehnsucht nach Harmonie befriedigen, bezaubern die neu entdeckten Arbeiten Kühns heute erneut durch ihren malerischen Reiz.

Kicken Berlin, Linienstr. 155, bis 21. April, Dienstag bis Samstag 14–18 Uhr

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