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Sie war ihrer Zeit oft voraus. Schauspielerin, Sängerin und Schriftstellerin Hildegard Knef.

© Privatarchiv Hildegard Knef

Knef-Dokumentarfilm : Die Überlebende

Berlinale-Panorama: Der Dokumentarfilm „Ich will alles“ feiert Hildegard Knef zum 100. Geburtstag. Es ist das Porträt einer Frau voller Widersprüche, mitreißend erzählt.

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Der Applaus ist frenetisch, die Sängerin steht im glitzernden weißen Kleid auf der Bühne. Sie hat „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ gesungen, kann die Tränen nicht verbergen. Hildegard Knef bei ihrer letzten Tournee 1986: verehrt und verletzlich. Mit der Szene endet der Dokumentarfilm „Ich will alles“, der die Diva zu ihrem 100. Geburtstag feiert.

Nach außen wirkte sie stark und selbstbewusst. Sie selbst hielt sich ganz im Gegenteil für schwach und schutzbedürftig. Ihr Lampenfieber war so groß, dass sie von einer Begleitperson auf die Bühne geführt werden musste. „Vor jedem Auftritt“, befand sie sarkastisch, „wünsch ich mir eine Arbeit mit Pensionsanspruch“.

„Ich will alles“ ist ein Zitat aus Knefs Rosen-Chanson, ihrem größten Hit. Der Film beginnt auch damit, Knef singt ihn bei ihrer Tour 1968, diesmal in schwarzen Pailletten und mit dicken schwarzen Kajalstrichen um die Augen. Der Dirigent Kurt Edelhagen nimmt ihre Hand, dann sind Proben mit dem Orchester zu sehen, bei denen die Sängerin von fiebrigem Tatendurst erfüllt ist. „Ich habe Ehrgeiz, werde ihn behalten“, wird sie im Vorspann zitiert. „Er begleitet mich wie eine Liebe, die gute und schlechte Tage hat.“

Leben in der Öffentlichkeit

Die Schweizer Regisseurin Luzia Schmid hat frappierende Aufnahmen in Archiven aufgespürt und zum mitreißenden Psychogramm einer Frau montiert, die ihrer Zeit oft voraus war. Erzählt wird Knefs Biografie hauptsächlich in ihren eigenen Worten, in O-Tönen und Ausschnitten aus ihren Büchern, gesprochen von Nina Kunzendorf.

Das Material ist enorm, Knefs Leben fand in der Öffentlichkeit statt, seit sie 1946 mit dem ersten deutschen Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“ zum Star aufgestiegen war. Ihr letztes Interview gab sie zwei Wochen, bevor sie 2002 starb.

Auf Triumphe folgten Abstürze, das Scheitern zwang zu Planänderungen in der Karriere. Sie habe mit „großen Regisseuren, denen man schlechte Filme gar nicht zugetraut hätte“, gearbeitet, bekannte Knef sarkastisch. „Aber dann machten sie den schlechten mit mir.“ Das gilt für Carol Reed, Wolfgang Staudte und Billy Wilder. 1948 wurde sie nach Hollywood geholt, dort aber „auf Eis gelegt“, so Knef, weil in den USA so kurz nach dem Krieg die Zeit noch nicht reif war für eine deutsche Schauspielerin.

Der Regisseur Willi Forst brachte sie 1950 zurück nach Deutschland, um „Die Sünderin“ zu drehen. In „Ich will alles“ ist die sechssekündige Nacktszene zu sehen, die das Melodram zum Skandalerfolg machte. Aus dem Off hört man Knefs verblüfften Kommentar, in Deutschland sei „eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit“ eingezogen, eine „bemerkenswerte Vergesslichkeit“, waren doch seit Auschwitz erst fünf Jahre vergangen.

Durchbruch am Broadway

„Ich kann nicht singen“, glaubte Hildegard Knef. „Du kannst singen“, widersprach ihr der Komponist Cole Porter und überredete sie, die Hauptrolle in seinem Musical „Silk Stockings“ zu übernehmen. Es wurde ihr Durchbruch am New Yorker Broadway. Als in den 60er Jahren Filmangebote ausblieben, konzentrierte sich Knef auf die Musik. Weil ihr die Lyrics nicht mehr gefielen, begann sie – eine Pioniertat –, ihre eigenen Texte zu schreiben, darunter die selbstironische Mini-Autobiografie „Von nun an ging’s bergab“.

Sie habe nie wirklich gelebt, „immer nur überlebt“, hat Knef gesagt. Kurz vor Kriegsende meldete sich die Ufa-Filmschülerin mit ihrem Geliebten Ewald von Demandowsky, einem Filmproduzenten und Goebbels-Adlatus, zum Volkssturm. Sie entkamen aus dem fast eingeschlossenen Berlin, gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

War sie eine Mörderin?

Das Trauma blieb. Später behauptete Knef, mit der Waffe gekämpft zu haben. Als ihre Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ in den USA ein Bestseller wurde, begrüßte sie der Talkmaster David Frost mit der Frage: „Sind Sie eine Mörderin?“.

Knef überstand auch zwei Scheidungen und eine Krebserkrankung. Über den Krebs schrieb sie das Buch „Das Urteil“. Irgendwann, erzählt ihre Tochter Christina Gardiner in der Dokumentation, habe sie die Krankheit zum Teil ihres Lebensstils gemacht.

Nebulös bleibt manches in diesem Leben. „Ich will alles“ ist, anders als das missglückte Biopic „Hilde“ mit Heike Makatsch, kein geglättetes Porträt. Es zeigt eine Frau voller Widersprüche. Niederknien möchte man trotzdem vor ihr.

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