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Blick in den Saal des Konzerthause am Gendarmenmarkt

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 35): Husten? Wir haben kein Problem

Über hustende Zeitgenossen im Konzertsaal können sich Klassikfans endlos aufregen. Dabei gibt es zwei Sorten von Husten: den aus Langweile - und den respektvollen.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Stand:

Über kaum etwas können sich Klassik-Aficionados so sehr echauffieren, wie über hustende Zeitgenossen im Konzertsaal. Die erscheinen ihnen nämlich als Menschen ohne Selbstkontrolle, die durch ihre Störgeräusche den kunstreligiösen Genuss stören.

Dabei gibt es zwei Arten von philharmonischem Husten: den nervösen, der auftritt, weil sich die Besucherin oder der Besucher langweilt, unruhig auf dem Stuhl herumrutscht oder – im schlimmsten Fall –, wenn die Angst, gegen die Psst-Wir-Schweigen-Fein-Still-Etikette zu verstoßen, unweigerlich ein fieses Kratzen im Hals aufsteigen lässt.  

Erste die Stille, dann die Entladungen

Aber es gibt auch jenen Husten, der Respekt ausdrückt, von der Hochachtung der Zuhörenden vor der Leistung der Interpreten kündet. Mir jedenfalls fällt auf, dass bei wirklich außergewöhnlich guten Aufführungen überhaupt kein katarrhalischer Laut aus den Sitzreihen zu vernehmen ist, während die Musikerinnen und Musiker spielen. Umso mehr aber, sobald die Instrumente mal einen Augenblick lang schweigen.

Dann entlädt sich ein umso stärkeres Husten, Räuspern und Rascheln. Als pure Übersprungshandlung nach der vorherigen 100-prozentigen Konzentration. Da muss etwas raus, das sich zuvor angestaut hat, unterbewusst, als Folge der ungewohnten Fokussierung auf das Bühnengeschehen.

Je hektischer die Zeiten werden, je mehr die Informationsflut auf dem niemals beiseitegelegten Mobiltelefon unseren Alltag bestimmt, je kürzer darum die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne wird, desto nötiger sind diese akustischen Erleichterungen zwischen den Sätzen einer Sinfonie. Wer sich körperlich anstrengt, kommt aus der Puste oder fängt an zu schwitzen. Wer seine Ohren über längere Zeit spitzt und diese Hörhaltung nicht bewusst trainiert hat, den überfällt eben der Hustenreiz.

Darum sollte sich niemand, der als Klassikrezipient bereits den Marathonläuferstatus erreicht hat, über diese Art des Nebengeräusches erheben. Weil sie lediglich das unglückliche Resultat eines beglückenden Live-Kulturerlebnisses ist. Liebe Leute, schießt eure Salven also ruhig ab in den Luftraum über dem Orchester, zwischen dem Allegro molto und dem Andante und meinetwegen auch zwischen dem Scherzo und dem Rondo-Finale. Und dann sind wir alle wieder bereit, uns komplett der Musik zu öffnen, vom sinfonischen Sound fortgetragen zu werden, in den Klangwogen zu versinken.

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