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Oberhaupt einer Fanfamilie. Herbert von Karajan, 1986.

© picture alliance / Martina Hellm

Kolumne Heilige Familie (4): Auf Wiedersehen in Salzburg

Weihnachtszeit ist Familienzeit. Höchste Zeit, sich über das Phänomen Familie ein paar Gedanken zu machen. Diesmal: Fans als Ersatzfamilie.

Dass alle in der Familie dieselben Leidenschaften pflegen, kommt ja äußert selten vor. Schon gar nicht in Sachen Musikgeschmack. Kein Wunder also, dass sich viele Menschen, die ganz besonders einer Künstlerin oder einem Künstler verfallen sind, eine Ersatzfamilie suchen: nämlich die anderen Fans.

"Kate Cats" verehren Kate Perry

„Belieber“ nennen sich die Anhänger vom Justin Bieber, „Sheerios“ jene von Ed Sheeran. Die „Smileys“ können sich nichts Schöneres vorstellen als einen Auftritt von Miley Cyrus, bei den „Little Monsters“ trifft das auf Lady Gaga zu. Und die Verehrer von Katy Perry wollen „Kate Cats“ gerufen werden. Aber das Phänomen der musikalischen Ersatzfamilie gibt es natürlich genauso in der Klassik. Als „Abbadiani itineranti“ beispielsweise reisten die Bewunderer Claudio Abbados dem italienischen Dirigenten bis zu dessen Tod unermüdlich hinterher.

Äußerst unternehmungslustig sind auch die Wagner-Verbände landauf, landab. Mehr Menschen mobilisiert kein anderer Komponist. Um Neuinszenierungen der Musikdramen ihres Idols erleben zu können, ist den Wagnerianern kein Weg zu weit. Und sie stimmen am Ende nur zu gerne kollektive Buhkonzerte an, wenn ein Regieteam mal wieder den Geist des Meisters verraten hat.

Ersatzfamilie bei den Osterfestspielen

Eine andere klassische Ersatzfamilie bildete sich in den siebziger Jahren bei den Salzburger Osterfestspielen. Was verwunderlich erscheinen mag, gilt dieses Festival doch als elitärstes Kulturevent der Welt. Mithilfe wohlhabender Freunde gründete Herbert von Karajan das Festival 1967 – und der Geldadel bildet seitdem auch die Stammklientel. Mittlerweile sind für ein Ticket in der besten Kategorie bei der österlichen Opernpremiere 490 Euro zu bezahlen.

Aber es gibt eben auch ein Kontingent günstiger Karten: Wer sich am anderen Ende der Preisskala bewegt, zahlt im Abo für einen Opernabend, drei Sinfoniekonzerte und einen Probenbesuch zusammen nur 390 Euro. Und so kam es, dass sich neben der Kulturschickeria in Salzburg auch eine Gruppe treuer Festspielfreunde mit Durchschnittseinkommen etablieren konnte.

Man kannte auch die Garderobenfrauen

Jedes Jahr im Frühling bekamen diese Enthusiasten dieselben Plätze ganz oben im großen Salzburger Festspielhaus – und so festigten sich bald die Bekanntschaften, wurde mit den Jahren eine eingeschworene Gemeinde daraus. Man kannte auch die Garderobenfrauen, die Kartenabreißer, man traf auf bekannte Gesichter in den Hotels, bei der Post, in den Geschäften. Die Woche Urlaub in der Karwoche war allen Mitgliedern der treuen Truppe heilig.

Nach Karajans Tod 1989 blieb man weiter zusammen, bejubelte die Berliner Philharmoniker, das Hausorchester der Festspiele, auch unter ihren Chefdirigenten Claudio Abbado und Simon Rattle. Dann aber kam der Verrat: Dass die Philharmoniker ab 2013 ihre Osterfestspiele in Baden-Baden veranstalteten, haben die treuen Fans ihnen nie verziehen. Schließlich waren auch die Musikerinnen und Musiker auf ihre Art ein Teil der Salzburger Ersatzfamilie gewesen.

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