
© Iko Freese / drama-berlin.de
Kolumne „Klassiker“: Hier irrt der Kritiker
Frederik Hanssen schreibt seit 30 Jahren Musikkritiken. Und zwar viel lieber über Aufführungen, die ihn begeistern, als über Enttäuschungen.
Stand:
Bernd Feuchtner, damals Klassik-Redakteur des Tagesspiegels, rief mich zwei Tage vor der Premiere an. Ob ich Lust hätte, über die neue „Zauberflöte“ an der Staatsoper zu schreiben? Natürlich hatte ich das! Seit kurzem erst gehörte ich zum Kreis der freien Mitarbeiter – das war meine Chance, mich mit einem großen Text zu profilieren. Einer Eloge auf Daniel Barenboim, den noch ziemlich neuen Generalmusikdirektor Unter den Linden, und auf den Starregisseur August Everding.
Zweimal die „Zauberflöte“ verrissen
Und dann kam alles ganz anders an diesem 14. Dezember 1994: Mir gefiel die Produktion ganz und gar nicht – und ich schrieb einen krachenden Verriss, der in der Formulierung gipfelte: „Was der Regisseur als Interpretation anbot, darf auf einer Bühne, die als eine der progressivsten im Bereich des Regietheaters gilt, getrost als Publikumsbeschimpfung angesehen werden.“ Der Artikel trug die Überschrift: „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“.
Beide Inszenierungen wurden Dauerbrenner
Nun, was soll ich sagen? Die Produktion ist immer noch im Repertoire der Staatsoper! Über 300 Mal wurde sie schon gezeigt – und die Intendanz konnte sich nicht einmal dazu entschließen, sie in den Fundus zu verbannen, als Yuval Sharon eine neue Deutung von Mozarts Meisterwerk Unter den Linden herausbrachte. Beide Versionen werden seitdem im Wechsel gezeigt, gerade steht wieder die Everding-Fassung auf dem Programm.
Achtzehn Jahre später, in der Komischen Oper: Barrie Kosky verwandelt zusammen mit der Theatergruppe 1927 die „Zauberflöte“ in ein Kinospektakel: In einen Stummfilm, bei dem dennoch gesungen wird. Expressionismus trifft Slapstick, doch so groß der Schauwert ist, so wenig Antworten findet die Regie auf die Fragen, die das Stück stellt: Das Charakterprofil der Sängerinnen und Sänger bleibt flach wie ein LED-Bildschirm – mein Urteil fällt vernichtend aus.
Sie ahnen es bereits: Auch diese Produktion wird ein Mega-Erfolg, der größte in der Geschichte des Hauses, auch nach mittlerweile zehn Jahren Laufzeit ist jede Vorstellung immer noch ausverkauft, Gastspiele führen bis nach Australien.
Das Schlusswort dieser Kolumne hat der finnische Komponist Jean Sibelius: „Meines Wissens hat man noch keinem Kritiker ein Denkmal gesetzt.“
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