
© Komische Oper/Jan Windszus Photography
Komische Oper Berlin: Revolutionär seit 1947
Die Komische Oper feiert ihr 75-jähriges Gründungsjubiläum. Hier entwickelte Walter Felsenstein sein Konzept vom lebendigen Musiktheater.
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Im Rückblick wirkt es geradezu grotesk, dass die Komische Oper in den hitzigen Spardebatten der 1990er Jahre mehrfach zum Spielball wüster Fusions- oder gar Schließungsszenarien wurde. Denn auch wenn das Haus das kleineste der hauptstädtischen Musiktheater ist und außerdem versteckt in einer schmalen Seitenstraße liegt statt am Prachtboulevard Unter den Linden oder der Charlottenburger Bismarckstraßen-Magistrale – eine nachhaltigere Wirkung als die Komische Oper hat keine Berliner Bühne je entfaltet.
Denn hier hat Walter Felsenstein ab 1947 das Musiktheater erfunden. Er hat die Oper vom „Konzert im Kostüm“ zu einer Gattung gemacht, bei der sich Gesang und Schauspiel auf Augenhöhe begegnen. Wenn es heute als selbstverständlich gilt, dass Sängerinnen und Sänger ihre Figuren glaubwürdig verkörpern können, ist das dem österreichischen Regisseur zu verdanken, der bis zu seinem Tod 1975 Chefregisseur der Komischen Oper blieb.
Felsenstein wollte die Künstlichkeit der Gattung überwinden
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fokussierte sich die Aufmerksamkeit bei Opernaufführungen auf die Dirigenten und die Solist:innen. Wer für die szenische Einrichtung zuständig war, galt als Nebensache. Manche Tenöre und Soprane boten mehr, als nur mit rudernden Armen an der Rampe zu stehen, üblich war es aber nicht. Bis Walter Felsenstein kam und das Prinzip des detailgenauen Erarbeitens der szenischen Seite einer Oper einführte.
Denn er mochte sich nicht mit der Künstlichkeit der Gattung zufriedengeben, er wollte Inszenierungen zeigen, in denen es absolut logisch ist, dass Menschen über ihre Gefühle nicht sprechen, sondern singen. Und zwar in derselben Sprache, die auch das Publikum sprach. In sorgfältigen deutschen Übersetzungen, die sich dem Original so weit wie möglich annäherten, präsentierte Felsenstein seine Produktionen. Nur damit hat Barrie Kosky in seiner Zeit als Intendant der Komischen Oper gebrochen. Sonst sah er sich ganz in der Felsenstein-Tradition.
Durch die Generation seiner Schüler, die teilweise in den Westen gingen - wie Götz Friedrich - oder als DDR-Bürger international tätig sein durften - wie Harry Kupfer -, hat sich Felsensteins Stil über die Jahrzehnte weltweit verbreitet, bis nach Australien, wo Barrie Kosky aufwuchs. Seine Art des Interpretierens ist zum allgemein anerkannten Qualitätsmaßstab geworden.
75 Jahre Komische Oper: Hinter der Zahl steckt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte – die einzige Revolution, die je von Berlin ausging.
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