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Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson ist diese Saison Artist in Residence am Berliner Konzerthaus.

© Ari Magg

Recital mit Víkingur Ólafsson: Kontrollierte Ekstase

70 Minuten am Stück: Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson lädt im Kleinen Saal des Konzerthauses zum Bach-Marathon

So schnell wird man nicht schlau aus Víkingur Ólafsson, dem jungen, bereits vielfach gefeierten isländischen Pianisten, in dieser Saison Artist in Residence am Berliner Konzerthaus. Er spielt akkurat und doch espressivo, leistet sich bei seinem Recital im Kleinen Saal verträumte Rubati, aber nur kurz, um gleich wieder hellwach vorwärts zu eilen oder die Sechzehntelketten wie eine Spieluhr abzuschnurren. Mal diszipliniert er Johann Sebastian Bach zur strengen Etüde, mal tupft er eine Pianissimo-Impressionen hin, schwelgt im Sentiment und romantisiert mit reichlich Pedal oder holt zu mächtigen dynamischen Steigerungen aus, etwa bei Busonis Choral-Bearbeitung „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“. Ein schwerer Kondukt, donnernde Anrufung mit geschlossenen Augen.

Bei allem Sturm und Drang verschleift Ólafsson jedoch keinen einzigen Ton. Die Grundattitüde seines Non-Legato mit Tendenz zum Staccato behält er noch bei den Trillern bei, ohne je penibel zu werden. Klarheit und Rausch, Pathos und Präzision: Die paradoxe Mischung hat etwas Bezwingendes. Überhaupt unterschätzt man ihn leicht, diesen hochgewachsenen, auf den ersten Blick ein wenig brav, fast linkisch wirkenden 35-Jährigen mit Scheitel und Brille.

70 Minuten Bach en suite. Bitte keinen Applaus zwischen den kurzen Stücken, animiert Ólafsson das Publikum zur Konzentration. Zum zyklischen Hören, von der Klavierbearbeitung des Adagios aus der e-Moll-Orgelsonate BWV 528 bis zur Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904. Einen Großteil des Programms hatte er bereits im Januar im Kammermusiksaal gespielt (und auf CD kann man es auch nachhören, erschienen 2018 bei der Deutschen Grammophon): eine sinnfällige Mischung aus Bach original, Bearbeitungen von Rachmaninow (wildes Impro-Theater) oder Ólafsson selbst (fast ein Nocturne), ergänzt um Bachs aparte Bearbeitung des bis heute populären Oboenkonzerts von Alessandro Marcello.

Die Kunst des Coverns wurde keineswegs erst im Pop-Zeitalter erfunden, und wie im Pop klingt die Coverversion jeweils nach dem Bearbeiter. Bach ist für alle da, ein jeder verwandelt ihn sich an. Ein vergnügliches Maskenspiel.

Und doch schleicht sich etwas Monotonie ein, denn Bachs Kontrapunktik ist nicht Ólafssons Sache. Meistens dominiert die rechte Hand, als handele es sich bei den Präludien, Fugen oder Inventionen um Melodien mit Begleitung. Und wenn der Pianist doch einmal ein Thema im Bass kräftigt oder eine Mittelstimme hervorhebt, geschieht es überdeutlich, mit fast pädagogischem Impetus. Dafür entschädigen die Freiheiten, die Ólafsson sich nimmt, wenn er Atmosphären zaubert, sich an zärtlich reibenden Dissonanzen erfreut oder an den Trugschlüssen des Barockmeisters.

Das nächste Mal tritt der Wahlberliner Ólafsson am 17. November im Konzerthaus auf, gemeinsam mit seinen Landsleuten vom Iceland Symphony Orchestra bringt er dann Daníel Bjarnason „Processions“ zu Gehör, das der Komponist eigens für ihn geschrieben hat. Und für seinen nächsten Solo-Abend am 18. Januar hat er Rameau, Debussy und Mussorgsky aufs Programm gesetzt: Als „Appetizer“ (Ólafsson) präsentierte er im Kleinen Saal schon mal „Le rappel des oiseaux“ aus Rameaus „Pièces de clavecin“.

Und wie zu Jahresbeginn im Kammermusiksaal fügt er zuallerletzt Beethoven hinzu, spielt dessen komplette erste Klaviersonate f-Moll als weitere Zugabe. Wieder gelingt ihm das Kunststück der kontrollierten Ekstase.

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