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Weicher Königsmantel der Schwermut: Die britische Band Tindersticks.

© Richard Dumas, Suzanne Osborne

Konzertkritik: Tindersticks: Schwermütige Schlager in der Philharmonie

Seit fast 30 Jahren zelebrieren die Briten melancholische Rockmusik: Auch beim Berliner Auftritt kommt nach kurzem Warten der gefühlvolle Befreiungsschlag.

Stuart Staples sagt nicht viel. Ein paar hingemurmelte Dankeschöns. Einige Worte an die Band. Ansonsten sind es nur die Texte der Tindersticks-Songs, die den Mund des wie immer würdevoll, aber auch immer etwas windschief wirkenden Mannes aus Nottingham verlassen. Wieso das so ist, wird gegen Ende klar: Er ist sehr erkältet, sagt er entschuldigend, um dann den letzten Song anzustimmen.

Es ist „For The Beauty“, eine der besten Nummern des im Herbst erschienenen Albums „No Treasure But Hope.“ Die Platte prägt den Abend, aber nicht ausschließlich: Staples und seine Kollegen graben sich tief in die eigene Historie ein. Warum auch nicht – die Gruppe hat einen großen Katalog, aus dem sie schöpfen kann. In den bald 30 Jahren, in denen sie von Nottingham aus um Stuart Staples Bariton gedankenschwere Rock- und Kammermusik verwebt, veröffentlichte sie zwölf Studioalben und spielte diverse Soundtracks ein.

Die musikalischen Parameter blieben dabei ähnlich, Änderungen ließen sich nie in der Grundstimmung, sondern eher in der Arbeitsweise feststellen, mal schienen die Songs etwas schroffer, mal spielten sie mit Jazz-, mal mit Blues-Elementen. Um den Hörer legte sich der Klang stets wie ein weicher Königsmantel. In Konzerthallen wirkte diese Musik bisweilen wie ein Fremdkörper, in die Philharmonie passt sie gut, auch wenn es bis zu dieser Erkenntnis etwas dauert: Die ersten 20 Minuten lauert die Band noch, reproduziert ihr Material lediglich.

Wirkprinzip aus den Fünfzigern

Der Befreiungsschlag kommt nach fünf, sechs Songs um so wuchtiger: In warme Orangetöne getaucht spielen die Tindersticks zunächst „Pinky In The Daylight“, einen weiteren Song des neuen Albums. Es ist ein ebenso schwermütiger wie schmissiger Schlager, der sein Wirkprinzip aus den Fünfzigern holt und eigentlich nur aus einem Refrain besteht. Ein Ur-Hit vom Debüt, der kaum gegensätzlicher sein könnte: „Her“ ist dringlicher Lärm, von Bass und Schlagzeug gnadenlos vorangetrieben, live trotz des etwas reduzierteren Arrangements – die Band steht zu sechst auf der Bühne, keine Streicher, keine Bläser – mächtig.

Höhepunkt ist schließlich „See My Girls“. Aus einer kleinen Klavierfigur schält sich da ein Song, der sich um eine visuelle Vorstellung dreht: Die Töchter auf der ganzen Welt, sie fotografieren alles. „Taking pictures of the Eiffel Tower, taking pictures of the Grand Canal“ murmelt Staples. Auch das Grab von Bob Marley, Piazolla-Statuen und die Pferde von Buenos Aires werden fotografiert. Aber Staples dreht das natürlich, singt über die verlorenen Seelen, die geweinten Tränen, die verzweifelten Schreie.

Nach kaum eineinhalb Stunden ist Schluss, die Band kommt für zwei Zugaben zurück auf die Bühne. „The Amputees“ heißt die erste. Das Ende einer Liebe wird anhand von Körperteilen erklärt. Stuart Staples muss nicht viel sagen, man versteht ihn auch so.

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