Kultur: Krieg im Liebeshotel
Toshiki Okadas Erzählungen „Die Zeit, die uns bleibt“.
Schon in der Bestimmung einer Genrebezeichnung für dieses Buch tut man sich schwer: „Erzählungen“ steht vorne auf dem Schutzumschlag; im Klappentext hinten heißt es, „Die Zeit, die uns bleibt“ sei der erste Roman des 1973 geborenen Toshiki Okada, der bislang als Theaterautor und Regisseur international bekannt geworden ist. Seine Theatergruppe „Chelfitsch“ bewegt sich im Grenzbereich zwischen Theater, Tanz und Performance, und auch die beiden jeweils etwa 80 Seiten langen Nachtstücke in „Die Zeit, die uns bleibt“ strahlen in ihrer Strenge und Distanziertheit etwas stark Theatralisches aus, als würden die Personen, um die es hier geht, neben sich stehen und Selbstbeobachtung betreiben; als wären sie selbst Kritiker jener Rollen, die das Leben ihnen zugeteilt hat.
Der erste Text, „Fünf Tage im März“, beginnt prall und realistisch und führt in eine Form von urbanem Dasein, die auch auf viele Europäer in ihrer Exotik Reiz ausübt: Sechs junge Männer fahren mit der U-Bahn in einen Stadtteil von Tokio, um dort einer Performance zuzuschauen. Die läuft mangels Beteiligung der Zuschauer ins Leere; doch man bekommt einen Zipfel von Wirklichkeit zu fassen: Die amerikanische Offensive im Irak, so erzählt einer, stehe unmittelbar bevor, doch das Interesse an Demonstrationen tendiere gegen null. Kurz darauf begegnen sich einer der sechs jungen Männer und eine ihm fremde Frau an der Bar. Ohne viel miteinander gesprochen zu haben, gehen sie in ein Love-Hotel, wo sie fünf Tage lang Sex haben, während draußen der Krieg ausbricht. In der zweiten Erzählung liegt eine Frau auf der schmuddeligen Matratze ihres heruntergekommenen Appartements, liest den Blog ihres Mannes und sinniert über ihre Arbeit im Telefonmarketing, bis eine Kakerlake sie in die Wirklichkeit zurückholt.
Beide Texte sind komplizierter gebaut, als es auf den ersten Blick scheint: Toshiki Okada verschiebt Erzählperspektiven, Blickwinkel, Sichtachsen, Bedeutungsebenen. Im ersten Text führt das zu einer flirrenden Irritation, hervorgerufen durch eine Mischung aus Faszination für das Fremde und die Virtuosität, mit der Okada die Strukturen einer entseelten Oberfläche nachzeichnet. In der zweiten Geschichte dagegen herrscht Öde. So ist es gedacht und gemeint. Aber es bleibt öde. Christoph Schröder
Toshiki Okada:
Die Zeit, die uns bleibt. Erzählungen. Aus dem Japanischen von Heike Patzschke. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2012, 160 Seiten, 16,99 €.