
© Gabriela Cuzepan
Krieg schreiben können: Notizen zum Poesiefestival Berlin
Der Dichter Yevgeniy Breyger sucht nach einer Sprache, die auch vor der Gewalt von Kriegen nicht versagt
Stand:
Was heißt es, in Kriegszeiten die Sprache für Gedichte nicht zu verlieren? Für den 1989 im ukrainischen Charkiw geborenen Yevgeniy Breyger stellte sich die Frage, als der Beginn des russischen Krieges gegen sein Heimatland mit einem soeben abgeschlossenen Manuskript zusammenfiel. In kürzester Zeit schrieb er „Frieden ohne Krieg“ (Kookbooks, Berlin 2023, 80 Seiten, 24 €), einen von Grund auf neuen Band, in dem er ebenso liebevoll der Geschichte seiner jüdischen Familie im 20. Jahrhundert nachgeht, wie er falschen Friedensfreunden die Leviten liest. Breyger kam 1999 nach Magdeburg, studierte Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2016 debütierte er mit dem Band „flüchtige monde“, dem 2020 „gestohlene Luft“ folgte. 2019 gewann er den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt, in diesem Jahr nimmt er am Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb teil. Hier ergänzt er seine poetischen Auseinandersetzungen mit einem – auch orthografisch – eigenwilligen Prosatext, in dem er die Herausforderungen seines Schreibens benennt. dotz
Etwas Festes, das den Gedanken von der Empfindung trennt. Und während sich vorher die Frage nach der innren Wahrheit von Gedichten stellt, nach dem Gedicht als Erkenntnisinstrument, um zu ebenjenem Punkt zu gelangen im Innren, der sprechen macht – Vakuum der Wahrheit, Sprachloch. Nicht die Möglichkeiten zählen, die sich anbieten, weil mich die eine, die Möglichkeit anstarrt. Sehr konkret, wenig zuversichtlich, aber erbaulich, mir Trostkanal.
Ich schreib ja dies Buch, solch Band, vor dem Krieg. Barocke Sprache, handwerklich Meisterklasse, dass mir der Speichel friert. Dabei schamlos inhaltsleer, also wieder der gleiche Inhalt wie immer – ein Dämon befällt den Mensch. Er bindet sich an Mensch bis in Ewigkeit und ergreift Besitz. Merkt darauf, der Mensch schlimmer sei noch als er, gottlos‘ Werk. An wen band er sich? Der Mensch dem Dämon sein Dämon fortan, für alle Zeit, so sie wandeln zu zweit.
Ich schwanke, weiß nicht. Aber es schrieb sich ja fertig. Dann fällt Russland ein und der Krieg, der nicht damit erst beginnt, nimmt Besitz – nimmt. Ich sitz noch im Büro und bekomm eine Hiobsbotschaft. Dann. Klärt sich die Sprache auf. Ganz hell im Hirn, sonnenklar, dass ich nach keiner Wahrheit zu suchen brauch. Die Gedichtchen, wie Edelsteinchen von früher, die in den Müll wandern. Stattdessen was? Mich mir von der Seele schreiben und dabei an Leser:in denken. Ich fang zu denken an.
Ich schreibe also neu, so wie’s einfällt und schreib und schreib und merk, ich kann nicht bloß – ich kanns nit lassn. Mein Journälchen. Die Familiengeschichte von Babyn Jar bis zur Flucht vor den Russn, die Charkiw bomben. Wie ich darin existier, was mich umgibt und drin Platz hat, treibt – die verhohlten Deutschen Pazifist:innen und ekelhaften Russ, die sich sogar jetzt mehr um die Russkultur sorgen als die Frauen, die in der Ukraine vergewaltigt werden, während mobile Krematorien durchs Land bürsten. Der Ekel vorm Spiegelbild, peinlich, der sich dem eignen Körper dennoch anheftet.
Ich reise zur Ausstellungseröffnung in mein Refugium, das Herrenhaus Edenkoben, was ungefähr der letzte liebe Ort der Welt ist. Komm im dunkelblauen Dress und wird‘ von irgendeim angewitzlt – Ganz in Schwarz? Iss etwa wer gestorbn? … wollt mir sowas eigntlich nit mehr zu Herzn nehmn, reagier aber doch wieder mit Humor. Weil ich schwach bin.
Und wo der Krieg einen angeht, da verlässt der Gedankengang nach dem Inneren und Äußeren im Schreiben seine logische Beweisführung. Immanenz. Transzendenz. Man muss sie sich leistn können. Wie kann man schreiben im Krieg? Wie kann man denken und sein im Krieg? Im Krieg? Und sitzn in Sicherheit. Halyna Kruk hält am siebzehnten Juni 22 die Rede zur Eröffnung des dreiundzwanzgstn poesiefestivals und sagt sinngemäß – was meine Erinnrung mir lässt – An der Front werden sie sich keine Gedichte leisten konnen, in der Ukraine werden sie keine guten zum Krieg schreiben können, irgendwo im Westen wird sitzen Dichter:in, die’s toll beschreibt bildhaft weil aus Ferne, Distanz.
Aber die will ich doch sicher nicht sein – mir schaudert. Ich versuch eine Ausrede, dass sie sich täuscht, es so gar nicht meint usw. Und merk auch – die Rede ist nicht vom Gedicht, die Rede ’s vom Bild. Das Bild wird dem Krieg nicht gerecht, der Begriff der Idee. Was stimmt. Was nicht stimmt. Es gibt ein einziges Bild für alles Grauen, einen einzigen Stein für alle Vögel. Ich verrate dir also genau eine Sache, genau ein Ding.
Wenn du schreibst vom Krieg, schreib nicht über dich. Denn ich schreib ja bereits über mich, um vom Krieg zu sprechen. Also schriebst, dachtest du im Schreiben dann nicht fälschlicherweise an mich? Fühltest mit mir? G’tt, wie ich jede Geste verabscheue meines Munds. Als wärn die Lippen zwei Windräder im Himmel. G’ott, wie ich politisches Schreiben verabscheu, Gott, wie ich Politik verabscheu. Doch ich liebe alle Tiere – also auch den Mensch. Im Moment vllt nicht den Russischen und den Deutschen. Kein Wunder, sie sprechen ja auch meine Sprachen.
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