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Polizisten untersuchen an der Grenze zu Tschechien Fahrzeuge nach Drogen.

© picture alliance / Bodo Schackow/dpa

Krimi von Roland Spranger: Neue Jobbeschreibung für Dealer

Rebellische Geschichten: Roland Sprangers im tschechisch-deutschen Grenzland angesiedelter Krimi „Tiefenscharf“.

Die leuchtende Neon-Tafel eines Travel-Free-Shops, ein dunkler Parkplatz mit einer Handvoll Autos und dann das verlassenes Grenzhäuschen mit den schiefen Jalousien: Max hat in Tschechien Drogen gekauft und ist mitten in der Nacht auf dem Weg zurück nach Deutschland. Auf dem Beifahrersitz liegt ein Plastikbeutel mit Crystal Meth im Wert von 20 000 Euro, und als er auf den Autobahn ist, stellt er erst einmal die Musik so richtig laut. Plötzlich Blaulicht im Rückspiegel. Max schafft es gerade noch, die Ware aus dem Fenster zu schmeißen, bevor die Polizei ihn mitten in der Nacht auf der Autobahn stoppt. Die Drogen sind weg. Max steht unter Druck, und ab jetzt hat er eine nicht registrierte Ceská im Wagen. Als er das nächste Mal mit einer Lieferung gestoppt wird, richtet er die halbautomatische Waffe kurzerhand auf die Polizisten. Und wundert sich: „Die Schusswunden schauen nicht so spektakulär aus wie in einem Quentin-Tarantino-Film.“

Roland Sprangers Thriller „Tiefenscharf“ führt direkt in das dunkle Grenzland zwischen Tschechien und Deutschland, eine mittlerweile ziemlich heruntergekommene Gegend, die vor allem dafür bekannt ist, dass hier im großen Stil Crystal Meth umgeschlagen wird.

Der Drogenschmuggel und ein Polizistenmord sind allerdings nur der Ausgangspunkt für einen Kriminalroman, der einen tiefen, ja, genau: „tiefenscharfen“ Blick auf ein gesellschaftliches Segment wirft, das in deutschen Randlagen oft anzutreffen ist: Möchtegern-Dealer wie Max, müde Türsteher („Der Job hat sich in den letzten Jahren ganz schön verändert“), hibbelige Speedfreaks oder ganz normale Nazis, die mit dem Baseballschläger denken und die man nicht nur im Osten Deutschlands in jeder Kleinstadt treffen kann.

Ein Kompromiss ist „Tiefenscharf“ nicht

„Tiefenscharf“ ist bei Polar in Hamburg erschienen, einem kleinen, aber extrem engagierten Krimi-Verlag. Der Verleger Wolfgang Franßen fühlt sich der Tradition des „néo polar“ verpflichtet, also jener französischen Variante des Hardboiled-Romans, die in den sechziger Jahren unter anderem durch Jean-Patrick Manchette begründet wurde und die sich vor allem für den gesellschaftlichen Raum des Verbrechens interessiert. Mit „Tiefenscharf“ als Auftakt will Franßen, wie er im Vorwort schreibt, sich jetzt auf die Suche nach einem „deutschen Polar“ machen: „Geschichten müssen rebellieren“ und „Es ist Zeit für keinen Kompromiss“.

Ein Kompromiss ist „Tiefenscharf“ auf jeden Fall nicht. Roland Sprangers Figuren, die alle auf der Suche nach einem billigen Kick sind – Drogen, Wodka, schlechte Fernsehserien, irgendwas mit dem Internet –, wirken auf bedrückende Art echt. Das liegt vor allem daran, dass ihr Verhalten nicht psychologisch oder moralisch motiviert ist, sondern rein ökonomisch. Zum Beispiel wenn Max seiner Freundin Kira erklärt, warum es keine gute Idee ist, eine Flüchtlingsunterkunft anzuzünden: „Das wäre geschäftsschädigend“, sagt er. „Bloß weil wir das Zeug an Nazis verticken, müssen wir selbst keine sein. Ich bin Geschäftsmann. Ich verkaufe mein Produkt an jeden, der in Cash bezahlen kann.“ Oder wenn der leicht heruntergekommene Journalist Sascha jedes Wochenende mit der Videokamera auf den Landstraßen unterwegs ist, um Bilder von spektakulären Verkehrsunfällen einzusammeln und so die Quote des lokalen TV-Senders zu stützen – und dabei gar nicht merkt, dass er sein eigenes Leben im großen Stil an die Wand fährt.

Kulissen, in denen man sich kein Happy End vorstellen kann

Roland Spranger hat einen sehr genauen Blick für die Verbrechen des Alltags und hat seine Geschichte vor dem Hintergrund einer kompromisslos trostlosen Provinzarchitektur in Szene gesetzt. Ein Fitnessstudio in einem aufgelassenen Baumarkt („mit aufgekratzten Musikclips“), Windkrafträder und Billig-Bäcker, kastenförmige Großraumdiskotheken oder eine alte Schulturnhalle, auf die jemand ein Hakenkreuz gesprayt hat und den Satz „Deutschland den Deutschen“.

Das sind Kulissen, in denen man sich ein Happy End kaum vorstellen kann. In „Tiefenscharf“ ist es am Ende dann auch nur ein einsamer Fuchs, der es in letzter Sekunde noch auf die andere Seite der Autobahn schafft. Und da sieht es auch nicht besser aus.

Roland Spranger: Tiefenscharf. Roman. Polar Verlag, Hamburg 2018. 286 Seiten, geb., 18 €.

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